Tobias Gohlis über das Tor des Schmerzes



Etwas von der Größe des Universums...

..hat Almas Seele geknackt

Alma kassiert Schlag um Schlag

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Joolz Denby:

Das Tor des Schmerzes.

Aus dem Englischen von Brigitte Helbling

Der erste Roman von Joolz handelt von einer Entertainerin, die einem Serienkiller verfällt:

Im Herzen die Dunkelheit

Aus dem Englischen von Brigitte Helbling


 

 

 

 

Intellektuelles Ganzkörperpeeling

"Da du nun bewiesen hast, dass du nicht in der Lage bist, Dich wie eine Erwachsene zu benehmen oder irgendeine Art von Verantwortung zu tragen, habe ich die schmerzliche Entscheidung getroffen, Wellington einschläfern zu lassen. Das ist natürlich sehr betrüblich..." In achtzig Prozent aller Krimis würde man so einen Satz einfach als Schicksal hinnehmen. So bürokratisch verstiegen schreibt eben der Durchschnitts-Verfasser an der oberen Leistungsgrenze, und uns Krimifressern geht es mehr um Spannung als um Stil.

Etwas von der Größe des Universums...
Von Joolz Denbys Das Tor des Schmerzes hat man nur ein paar Seiten gelesen, wenn man auf diesen Brief stößt und erkennt: Das ist das Gesabber eines Widerlings. So von oben herab, demütigend und verächtlich kann nur ein richtiges Akademikermiststück schreiben, einer dieser Emporkömmlinge, die da, wo bei anderen das Herz klopft, eine Mobbingmaschine laufen haben. Und es wundert uns überhaupt nicht, dass Alma Greer, die asthmatisch empfindsame (Putz-, Haus-, Kind-) Frau dieses Oxbridge-Ekels einfach Leine zieht, nachdem sie die Unmündigkeitserklärung auf dem Küchentisch gefunden hat. Wenn einer ihren Lieblingskater Wellington umbringt, macht sie das total fertig. So fertig, dass sie eher halb bekleidet und verheult vor dem Haus ihrer besten Freundin wie eine Pennerin die Nacht auf der Straße verbringt als diesem aufgeblasenen Wicht von Ehemann eins über die Rübe zu geben. Lange bevor der den Kater mordete, hat irgendetwas von der Größe des Universums Almas Seele geknackt. Davon hat sie sich bisher ganz und gar nicht erholt.

Dabei hätte sie "überall hin gehen können: Oxford, Cambridge - die ganze akademische Welt stand mir offen. O ja, man sagt, ich sei sehr intelligent. Klingt großartig, nicht? Sicher doch, solange nicht der Rest der Familie aus Genies besteht.." Der Vater ist der weltberühmte Lorcaforscher Greer, der Bruder mischt als Computergenie Silicon Valley auf, die Mutter ist Landschaftsmalerin und "die einzige lebende Frau, die es schaffte, den Lake District vaginal wirken zu lassen."

..hat Almas Seele geknackt
Bevor wir überhaupt begriffen haben, was mit Alma los ist, sind wir längst von ihren frechen Sprüchen gefangen, umgarnt von der Unverfrorenheit, mit der sie verbal die Tabus der schönen heilen Akademikerwelt attackiert, aus der sie kommt und vor der die Mittzwanzigerin immer noch auf der Flucht ist. Emotional das kleine Mädchen, dem der geniale große Bruder vorgezogen wurde, baut sie sich mit starken Sprüchen auf, pierct sich wie eine Wilde und glänzt mit einem Schwarze-Rose-Tattoo, das vom besten Epidermislocher Yorkshires stammt.
Allen diesen Tapferkeitsauszeichnungen zum Trotz wirkt Alma widerstandsunfähig. Die große Liebe zu einem rebellischen Poeten, die ihr poröses Selbstbewusstsein hätte aufplustern können, war in Alkohol und Prügeln gestrandet, schon bevor sie den Liebsten an einen LKW mit überhöhter Geschwindigkeit verlor. Als verstörte Witwe wurde sie von dem karrieristischen Katermörder aufgelesen und flüchtet nun, zu allem Unglück arbeitslos geworden, ins andalusische Ronda.
Als sie dort waidwund im Haus ihrer Erzeuger unterkriecht, sind schon hundert Seiten vorbei. Nichts Kriminelles ist bisher geschehen. Doch auch ohne die ungeheuerliche Bedrohung, die ihr im letzten Drittel des Romans buchstäblich atemberaubend die Bronchien einschnürt, hätte ich die wunderbar verdrehten Selbstgespräche und spießerfeindlichen Invektiven der voll gepiercten Alma gerne weiter gelesen. Das Ende ist heftig.

Alma kassiert Schlag um Schlag
Alma, eh schon am Rande der Dekonstruktion, kassiert Schlag um Schlag. Ihre beiden besten Freundinnen haben sie jahrelang über den wahren Charakter ihres geliebten Poeten getäuscht. Enttäuschung und Einsamkeit treiben sie endgültig ins mentale Zentrum einer ortsansässigen Piercing-Sekte, wo zudem noch eine Reinkarnation ihres Jugendgeliebten verführerisch mit Verständnis lockt. Die Sekte umgarnt die gepeinigte Alma (spanisch: die Seele) so geschickt, dass sie sich immer noch als unbeteiligter Gast äußerst liebenswürdiger Menschen wähnt, als diese sie schon auf das finale Opferritual vorbereiten. Eingeflochten in den rasanten Plot sind mehrere Schichten Subtext: ein feingesponnener Diskurs über das gothisch-gruselige Quadrat Syphilis, Schmerz, Wahnsinn und Genie.

Hier gebietet der Respekt vor den nächsten hunderttausend Leserinnen Schweigen. Nur noch ein letztes Flüstern. Genießen Sie Joolz Denby: von Schauder zu Schauder intellektuelles Ganzkörperpeeling.

Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 11, 7.3.02