Tobias Gohlis über neue deutsche Krimis im Frühjahr 2009

 

In den USA Deutsches verarbeitet

Keine Entschuldigung

Medea und Marple

Der Festungsrand

Ort und Zeit mal ernstgenommen

Aus dunklen Tagen lernen?

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Stefan Kiesbye:
Nebenan ein Mädchen

Zoran Drvenkar: Sorry

Monika Geier:
Die Herzen aller Mädchen

Jörg Juretzka:
Alles total groovy hier

Uta-Maria Heim: Wespennest
Das Rattenprinzip

Rober Hültner:
Inspektor Kajetan kehrt zurück

 

 

Kleine deutsche Krimiwelle

Neue deutsche Krimis im Frühjahr 2009

Im Frühjahr 2009 gibt es viele gute Krimis deutschsprachiger Autoren, darunter zwei echt regionale: Sie verstehen etwas von Leben und Geschichte der Gegend und können sie gestalten. Wenn ich aus dem Fenster in meinen Garten gucke, sehe ich Latenz. Ein paar Schneeglöckchen und Krokusse üben das Öffnen und Schließen der Blüten, aus dem vermoosten Rasen recken sich grüne Spitzchen und im prallen Sonnenlicht glänzt jeder Vogelschiss wie Blitz. Latenz auch in der Krimi-Welt. Nicht wirklich Neues, nicht wirklich Überraschendes, aber Zukunft. Altes ist wieder frisch da, erste neue Köpfchen recken sich.

In den USA Deutsches verarbeitet
Unter den Krimis deutschsprachiger Provenienz gibt es zwei Entdeckungen zu vermelden. Den ex-norddeutschen und heute in Kalifornien lebenden Autor Stefan Kiesbye (dänisch ausgesprochen: Kies-bü) kannte bis vor kurzem hierzulande kaum jemand. Er lebt in Kalifornien und schreibt auf Englisch, und wer sein Debüt Nebenan ein Mädchen gelesen hat, kann sich denken, warum er diese Erzählung aus einer depressiven, im Schatten von Wehrmachtbunkern dämmernden niedersächsischen Nachkriegskleinstadt erst einmal sprachlich und kontinental auf Distanz bringen musste, um sie erzählen zu können. Wie sich eine Rivalität zwischen Jugendbanden (und sozialen Schichten) zu Gewalt, Entführung und Mord entfesselt, erzählt Kiesbye mit kaltem Blick und lakonischer Sprache. Den Empfindsamen geht nämlich das Sabbeln aus, wenn Kinder gefangen, junge Frauen eingesperrt und vergewaltigt werden. Kleinverleger Jens Seeling hat Kiesbyes Debüt von 2004 entdeckt und den Autor zu einer Übersetzung ins Deutsche animiert. Bravo.

Keine Entschuldigung
Auch wenn der Plot von Zoran Drvenkars Thriller Sorry gänzlich anders, nämlich mit der Geschäftsidee einer Berliner Bande hochbegebter Loser beginnt, das innere Thema von Sorry ist mit dem Kiesbyes verwandt: Herrschaft und Abhängigkeit. Drvenkar ist vielfach für seine Jugendbücher ausgezeichnet, arbeitet als Drehbuchautor und ist ein Schreiber, der es glänzend versteht, komplexe, geheimnisvolle, lebendige Figuren zu entwerfen, ein Erzähltalent per se. Spannende Erzähltechnik - ein alles regierender Erzähler duzt seine Figuren an, der Text changiert zwischen Dialog, Selbstgespräch und auktorialem Bericht - übersteuert Glaubwürdigkeitslücken des Plots, fesselt aber ungemein. Die Inhaber einer Entschuldigungs-Agentur werden gezwungen, sich im Namen des Mörders bei einer Ermordeten zu entschuldigen. Beim Versuch, damit klarzukommen, geraten sie in den Horror einer Parallelwelt aus Kindesmissbrauch und Abhängigkeit über Generationen. Beeindruckend und erschütternd ist, wie Drvenkar das ausweglose Schicksal der Missbrauchsopfer nachvollziehbar macht: Er spinnt den Leser in seine Erzählstruktur unentrinnbar ein.

Medea und Marple
Neben diesen beiden Neu-Entdeckungen gibt es auch Erfeuliches über neue Bücher bereits bekannter Krimi-Autoren zu vermelden. Monika Geier aus Kaiserslautern gilt seit ihrem Debüt Wie könnt Ihr schlafen als Geheimtipp. Die Herzen aller Mädchen ist ihr fünfter Krimi um Kommissarin Bettina Boll. Als eine alleinerziehende Mutter, die die Kinder ihrer verstorbenen Schwester aufzieht, ist sie kriminalistische „Halbtagskraft“. Allein wie Geier vorführt, dass solche Halbtagskäfte über voll Power verfügen, macht dieses witzige Buch lesenswert. Doch es ist nicht allein der lässige, dabei nicht alberne Umgang mit dem aktuellen Unterentwicklungsstand der Frauengleichstellung, es sind vor allem ein glänzender Plot und seine schnörkellose, elegante Durchführung, die Die Herzen aller Mädchenüberaus lesenwert machen. Souverän jongliert Geier mit literarischen Anspielungen (von Ovids Verbannung, über Kunstraub und Da-Vinci-Code bis zur Liebeskunst und einem verschollenen Medea-Text). Sie konstruiert und löst einen verzwickten Fall von Versicherungsbetrug und etlichen Kollateralschäden aus den Kellern des BKA mit einer dem Stoff angemessenen heitereren Distanz. Rundum intelligent und vergnüglich.

Der Festungsrand
Vergnüglich startet auch Jörg Juretzka in Alles total groovy hier. Die Sonne scheint, ein wenig zu brüllend, aber letztlich soft in Andalusien, wenn Kristof Kryszinski und Kumpel Scuzzi in einem Camp esoterisch kiffender Alt-Hippies eintreffen. Die Mühlheimer Biker suchen nach dem verschollen Biker Schisser und den 180.000 Euro, die er in einem als Biker-Ruhesitz vorgesehenen Latifundium anlegen sollte. Der Leser hat seinen Spaß, denn zwischen Kryszinki, dem Biertrinker aus dem Ruhrpott, und seinen peacigen Gastgebern droht ständig der Clash of Civilisations. Je heißer es wird, desto stärker verdunkelt sich die Szene. Am Schluss können Scuzzi und Kryszinski froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Hervorragend. Je bitterer der Witz, desto irrer das nackte Grausen, das sich den beiden harmlosen Bikern am Rande Europas auftut.

Ort und Zeit mal ernstgenommen
Geschichte und Region - bis zum Erbrechen der Begriffe werden sie in „historischen“ und „Regio“-Krimis exploitiert. Die meisten literarischen Missgeburten mit diesen Etiketten handeln weder von Verbrechen, die aus der Geschichte entwickelt werden, in der sie spielen sollen, noch von den Regionen, in denen sie angesiedelt sind. Sondern von Kulissen und Klischees. Die meisten haben soviel mit Region oder Geschichte zu tun wie die Sandalenfilme Hollywoods mit der Antike. Nur sind sie meist noch langweiliger. Deshalb kann man vor Freude in die Luft springen, wenn es mal Kriminalliteratur gibt, die historische Konflikte und geschichtliche Figuren in Sprache und Plot ernst nimmt und gestaltet. Autoren, die das können sind schon seit langem (und deshalb auch beide mehrfach ausgezeichnet) Uta-Maria Heim und Robert Hültner. In ihren Büchern könnten die do-it-yourself-Schreiber lernen, wie Lesevergnügen entsteht aus dem Einlassen und Zuhören auf lokale Eigentümlichkeiten, Klangfarben, Denkweisen, wie Geschichte fremd und erlebbar zugleich wird durch Konflikte und Konfliktlösungen, die diesen Orten, diesem Menschenschlag zugehören und von Könnern zugeschrieben werden. Uta-Maria Heim, geboren im Schwarzwald, ansässig in Württemberg, gewinnt Luft aus dem Atem- und Dialektwechsel zwischen den Mikroklimazonen jener grundgesetzlich zusammengeschusterten Ländle. Ihr Fall - ein ehemaliger Polizeibeamter und verdeckter Ermittler wird mit einer Waffe erschossen, die aus dem Haus einer alten kommunistischen Familie veschwunden ist - ist eingebettet in einen verzwickten und durch Verschweigen wie Lügen, Erzählen und Erinnern durcheinander gewirbelten Schallraum. Weder den ermittelnden Polizisten noch dem Leser fällt die Orientierung leicht zwischen Gedenkdaten und politischen Linien, Verwandtschaftsbeziehungen und Rachesträngen, Politik und Privatem. Wespennest setzt die achtzehn Jahre zuvor in Das Rattenprinzip ungeklärt gebliebene Mord- und Totschlaggeschichte fort. Nazis und Antinazis, Reporter und Spione, Kommunisten und Kriegsverbrecher kommen hier vor, weil sie so und nicht anders am Ort sind: Miteinander verwandt, verfeindet, verhasst, verliebt, auch wenn der eine sechzehn Jahre in Kuba untertaucht und die andere im elterlichen Bauernhof. Region als Chaos, als undurchdingbare Undichte - herrlich.

Aus dunklen Tagen lernen?
Heims Wespennest spielt heute und findet die Ursachen der mörderisch ausgetragenen Konflikte in Krieg- und Nachkriegszeit, in den RAF-Jahren und den Verwerfungen der Wiedervereinigung. Roberts Hültners Inspektor Kajetan kehrt zurück ist ohne Zeitverweis nach vorn oder zurück fest situiert im Jahr 1928. Auch dieser Roman lebt von genauestem Hinschauen und Zuhören, präziser Einfühlsamkeit und Kenntnis der lokalen Gegebenheiten. Ex-Polizist-Kajetan landet auf der Flucht vor einer Fatwa der Nazis, die bereits die Münchner Politische Polizei kontrollieren, im Grenzland. Dort will er mit Hilfe von alten Bauerngenossen und Bergführern übers Hochgebirge emigrieren, wird aber in den Mord an einem lokalen Hotelier und die Flucht eines braven Kommunisten verwickelt, dem ein Spitzelmord angehängt werden soll. Wie in den anderen Kajetan-Romanen entfaltet Hültner - Region gleich Rechtlosigkeit - die Verwerfungen zwischen alter und neu aufziehender Gewaltherrschaft, zartem demokratisch-rechsstaatlichem Denken Einzelner und brutalem Opportunismus zu einem Sozial- und Sittengemälde bayrischer Zustände und bayrischer Menschen. Ihre Lebendigkeit lässt verstehen, warum die Sehnsucht nach Regionalkrimis so groß ist. Hültner widerspricht in seinem großartigen Realismus jedem Klischee: Nicht nur die Bayern sollten sich freuen, dass ihnen einer den weiß-blauen Himmel wegzieht. Denn gute Krimis sind nicht albern und schönfärberisch, sondern schwarz und realistisch. In Krisenzeiten erst recht.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung im Börsenblatt 14/2009