Tobias Gohlis über Marc Dugain: Hoovers Gattin



Zwischen Fakten und Fiktionen

Was gibt er zu? Was verschleiert er?

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Mark Dugain:
Der Fluch des Edgar Hoover

Aus dem Französischen
von Michael Kleeberg

 

 

 

 

 

Marc Dugain porträtiert einen großen Verbrecher —
aus der Sicht seines Liebsten

Ein Mann tritt ins Zwielicht: Clyde Tolson. Er war „the man who came to dinner“. So wird es in dem Dossier reportiert, das unter dem „Information Freedom Act“ vom Federal Bureau of Investigation veröffentlicht ist. Diese Sammlung aus dem Papierkorb lässt allerdings kaum erkennen, welche Macht Clyde Tolson besaß, wenn er nicht dinierte. Von 1930 bis 1972 war er Stellvertretender Direktor des FBI. Nach dem Tode seines Mentors, Chefs und Liebhabers John Edgar Hoover am 2. Mai 1972 war er für einige Stunden auch amtierender Direktor der amerikanischen Bundespolizei. Diese Zeit nutzte er ausschließlich zu dem Zweck, die 17.750 Seiten umfassenden geheimen Dossiers beiseite zu schaffen, die Hoover in seinen 48 Dienstjahren als Direktor des FBI angelegt hatte. Mit Hilfe dieser Dossiers über sexuelle Gewohnheiten, geschäftliche Verwicklungen und anrüchige Bekanntschaften kontrollierte Hoover achtundvierzig Jahre lang während der Regierungszeit von acht Präsidenten die amerikanische Politik „ohne jemals dem Blick des Wählers konfrontiert zu werden, ohne jemals die Geisel seiner Undankbarkeit sein zu müssen“.

Zwischen Fakten und Fiktionen
So arrogant, so servil begegnet uns Clyde Tolson jetzt in Marc Dugains Der Fluch des Edgar Hoover. Dieses Buch ist ein subtiler Genuss, in Rumsfeld’scher Terminologie: eine süffisante Satire des alten Europa. Dugain, ein in Marokko lebender Schriftsteller und Unternehmer, ist seit seinem Debütroman Die Offizierskammer über das morbide Verdämmern seines schwerst kriegsversehrten Großvaters ein Spezialist für das Flimmern zwischen Fakten und Fiktionen. Dieser vorgeblich aus den Tagebuchaufzeichnungen Tolsons bestehende Roman (ein etwas abgenudelter Trick) lebt von seiner kunstvollen Atmosphäre, von einer Art blasphemischem Chichi. In dieser vorgeblichen Rechtfertigungsschrift wird einer der mächtigsten, gefährlichsten und undurchschaubarsten Männer des 20. Jahrhunderts sichtbar bis zur Kenntlichkeit. Gerade jetzt, in der moralischen Krise der Supermacht, ist es lehrreich, erschütternd und höchst amüsant, ihre innere Selbstgewissheit als viktorianisches Stützkorsett karikiert zu sehen, das von einem machthungrigen und ideologisch verblendeten Schwulenpaar designt war.

Was gibt er zu? Was verschleiert er?
Dugains literarische Kunstfertigkeit präsentiert Tolson als Hoovers tucken- und gluckenhaftes Double, das auch dann noch John F. Kennedy observiert, als Hoover die Aktion abgeblasen hat. Zurecht, wie sich herausstellt: Schließlich wird Präsident Kennedy den einzigen Garanten amerikanischer moralischer Überlegenheit durch die Kubakrise persönlich in atomar bedrohte Lebensgefahr bringen! Ein Grund mehr, diesen Usurpator aus Neuengland abzuservieren. Denn so sah Hoover sie: Zunehmend beurteilte er Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten nur noch danach, welche Bedrohung sie für die von ihm und Tolson ausgeübte Macht bedeuten könnten. Tolsons Rechtfertigungsenthüllung spielt — schon der plakative Titel deutet das an — mit dem Vorwurf, die beiden seien ein homosexuelles Paar gewesen. Die Spuren, die er auslegt, reizen den Detektiv im Leser: Was gibt er zu? Was verschleiert er? Ein Spiel, das mit echten und kunstvoll nachgefälschten Abhörprotokollen, erfundenen und akribisch recherchierten Tatsachen so weit getrieben ist, dass dieser Roman nicht nur den Liebhabern von Verschwörungstheorien haufenweise Futter gibt, sondern sogar den einen oder anderen Historiker auf seine schillernde Spur locken wird. Obwohl die meisten schmutzigen Tatsachen, die hier noch einmal aus Clyde Tolsons Gattinnen-Perspektive interpretiert werden, längst bekannt sind, gelingt es Dugain, das irritierend spannende Porträt eines Mannes zu entwerfen, der ein politischer Heuchler und Verbrecher von epochalem Rang war.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 45 vom 1.11.2007