Tobias Gohlis über Monika Geier: Stein sei ewig

 


Provinzler

Mord vor 100 Augen

Boll kriegt sie alle

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Monika Geier: Stein sei ewig; ariadne krimi im Argument Verlag

 

 

Geiers Kunst der Akterdolchung

In Rheinland-Pfalz, einem sonst eher unauffälligen Randland, verdächtigt man Monika Geier der Fremdenverkehrsschädigung. Bereits zum dritten Mal weigert sie sich, ihre in einer Gegend namens "Pfalz" oder "Hinterpfalz" angesiedelten Schauplätze und Tatorte mit echten Hausnummern, Straßennamen und Ortsschildern zu versehen. Sie mogelt. Obwohl jeder Leser des Lokalblattes Rheinpfalz weiß, dass Geier in Kaiserslautern lebt, gibt sie die mittelgroße Stadt, in der über Nacht zwölf Originalplakate aus öffentlichen Vitrinen gestohlen wurden, als "Lautringen" aus. Ähnlich schändlich geht sie mit ihren Landsleuten um. Es ist einfach wahrheitswidrig, wenn eine örtliche Frauenbuchhandlung behauptet, Geier bereite "die Sitten und Gewohnheiten der pfälzischen Stadt- und Landbevölkerung literarisch auf". Das ist nur der schönste Blütentraum deutscher Etikettierer: wenigstens im Krimi soll etwas typisch Heimatliches zu finden sein. Doch ist in Monika Geiers neuestem und bisher bestem Roman Stein sei ewig nicht eine Sitte oder Gewohnheit beschrieben, die nicht auch in Paderborn, Weihenstephan oder Frankfurt an der Oder vermerkt werden könnte.

Provinzler
So sind die Provinzler. Kaum ist von einem Ort namens "Rahmstein" die Rede, in dessen Nähe ein Flugzeug abgestürzt ist und die Einsegnungshalle des nahegelegenen Friedhofs niedergewalzt hat, denken sie schon an das Luftkunstmassaker von Ramstein. Ob Katastrophe, ob Idylle - Hauptsache, sie finden sich darin wieder.

Zurück zur Autorin. Monika Geier hat Architektur studiert und das dazu nötige Geld unter anderm mit Modellstehen verdient. Zwei Lebenserfahrungen, die in Stein sei ewig auf wundersame Weise "aufbereitet" werden, wie die Buchhändlerin schreiben würde. Zum Beispiel gelingt es Geier auf der Basis ihres detaillierten Erfahrungswissens, ein Tötungsdelikt plausibel zu beschreiben, das man sich bis dato nur als Zirkusnummer hätte vorstellen können.

Mord vor 100 Augen
In Anwesenheit von fünfzig geladenen Gästen, von denen etliche ein auf einem Podest posierendes Aktmodell schon deshalb mit Argusaugen fixieren, weil sie es auf ihrer Staffelei pointillieren, aquarellieren oder acrylisieren wollen, wird eben dieses erbärmlich dünne, leicht frierende Mädel mit einem einzigen Stich ins Herz getötet. Und niemand hat den Mörder gesehen. Nicht einmal Kommissarin Bettina Boll, die eigentlich die Aktaktion nutzen will, um sich als Kunstraubexpertin (der Fall der geraubten Plakate) getarnt an den Dozenten Kußler heranzumachen, den ihr Chef verdächtigt, seine in Indien weilende Frau, eine wohlhabende Reiseschriftstellerin, umgebracht zu haben.

Dieser Kußler (so heißt kein Pfälzer!) ist überhaupt eine Type. Er hat so blaue Augen, dass nicht nur Bettina Boll, die als alleinerziehende Ersatzmutter zweier Waisenkinder und Kommissarin der Mordkommission eigentlich ausgelastet sein müßte, beinahe in ihnen versinkt. Auch Ella, die Studentin mit dem Stoppelhaarschnitt und der Smith&Wesson, ist von seinem hellen Teint, der eleganten Figur und den keltisch schwarzen Haaren des Architekten dermaßen angetörnt, dass sie in seiner Gegenwart meist die richtigen Worte nicht findet. Statt dessen greift sie zur Smith&Wesson. Doch bis sie das tut (auch das tun echte Pfälzer nie) sind wir Leserinnen durch 400 Seiten getaumelt, kichernd, grinsend, staunend, von denen wir nicht eine hätten missen wollen. Was haben wir nicht alles erlebt! Gräber, als Kunstwerke getarnt, haben sich aufgetan. Ein Mann, der sich mit Löwenherz verglich, wurde als Stalker entlarvt. Eine erpresserische Tagesmutter fand ein verdientes Ende. Der Kunstraub wurde aufgeklärt. Und Bettina Boll, die Gehetzte, die Kluge, die sich nie hinters Licht führen lässt, hat wieder alle Fäden in die Hand genommen. Sie, die in die Provinz, in die allerletzte Hinterpfalz abgeschoben werden sollte, hat sie alle geschlagen: den sprücheklopfenden Profiler aus München, den Kriminaloberrat, und auch ihr Chef hat nicht einen Stich gemacht. Am Ende ist einfach alles bestens.

Boll kriegt sie alle
Das hätten wir gerne. Und angeblich soll das auch die besänftigende Wirkung des Kriminalromans sein: dass alle Fälle gelöst sind und die Ordnung, die es sonst nie gibt, wieder hergestellt ist. Monika Geier unterläuft diese Beschwichtigung, indem sie sie kolportiert. All das Grelle, Heftchenromanhafte von Plot und Figuren signalisiert uns: Wenn ihr glaubt, dass das wahr ist, seid ihr selbst schuld! Geiers Morde sind allerfiligranstes Kunst-Handwerk, gemacht aus Augenzwinkern und Hellsicht. Schon deshalb haben sie mit keinem realen deutschen Bundesland irgendetwas zu tun.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. Nr. 3/2004 vom 8.1.2004

Siehe auch: Tobias Gohlis über Monika Geier: Die Herzen aller Mädchen

Siehe auch: Tobias Gohlis über Monika Geier: Neapel sehen