Tobias Gohlis über Per Johansson: Der Sturm

 


Ein Pauker macht sich bräsig

Knorpel und Dachse

Ronny und Christian – Helden aus der Schachtel

Etwas Symbolisches bläht sich auf

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"Per Johansson"
(Thomas Steinfeld und Martin Winkler):
Der Sturm

 

Die Ordnung der Dachse

Thoams Steinfeld und Martin Winkler haben als „Per Johansson“ einen ziemlich langweiligen und aufgeblähten Schwedenkrimi verfasst

Krimi – kann jeder. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Er habe sich mal mit einem guten Freund an einem Kriminalroman versuchen wollen, ist Thomas Steinfeld, Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, etwas kleinlaut zu vernehmen. Vergangene Woche kam heraus, dass Steinfeld und ein Martin Winkler hinter dem Pseudonym "Per Johansson" stecken, unter dessen Namen und mit dessen eingestandenermaßen gefakten Konterfei jetzt der Kriminalroman Der Sturm erscheint.

Ein Pauker macht sich bräsig
In Schweden rät man Autoren, denen zu Hause der Erfolg versagt bleibt, Krimis für Deutschland zu produzieren. Auch der falsche Schwede "Per Johansson" schielt auf den deutschen Markt. Beflissen belehrt er seine Leser, dass "gården" "Hof" bedeutet und "avspärrat" "abgesperrt". Brav wie ein Reiseführer und pedantisch wie ein Pauker unterrichtet "Per Johansson" über schwedische Begriffe und Gewohnheiten. Was es mit "Mitsommar" auf sich hat, erfahren wir und dass ein "systembolaget" ein "staatliches Alkoholgeschäft" ist. Der Eindruck, Schweden redeten so miteinander, kann schwerlich aufkommen. Diese Unbeholfenheit wäre der Erwähnung kaum wert, stünde sie nicht symptomatisch für den Drang, diesem Kriminalroman alles aufzupacken, was es in der Welt zu erklären gibt. Der Literaturkritiker und Skandinavist Thomas Steinfeld hat Henning Mankell wegen "Überforderung einer Landschaft durch eingebildete Verbrechen" kritisiert. Der Autor Steinfeld liegt in seinem ersten eigenen Krimi, trotz eingeschobener Ironie-Elemente, nicht weit davon entfernt.

Knorpel und Dachse
Es beginnt im Frühling. Der pensionierte Lehrer Bertil Cederblad ist ins nördliche Schonen unterwegs. Das ist eine der wenigen Regionen, in der noch kein Schwedenkrimi spielt. Entsprechend wohlwollend gleitet Bertils Blick über die Wiesen. Die Anemonen blühen, wie auf der Homepage von Osby, in dessen Nähe der schwedische Teil des Romans spielt. Bertil sorgt sich, ob der Dachs die Pfosten der von den Großeltern geerbten Scheune untergraben hat. Viel schlimmer. Er stößt auf etwas, "was einmal ein Mensch gewesen war, aber was nun zerteilt, auseinandergerissen und zerfetzt war, Knochen, Knorpel, Kleidungsreste". Ein prächtiger kakophoner Dreiklang, der "Johansson" da gelungen ist, um die Idylle maximal aufzureißen! Unter uns Forensikern: Knorpel – kann man die bei schlechtem Licht in einem Haufen von verwesendem Fleisch so genau erkennen? Aber für die Ermittlung kommt es auf Knorpel nicht an, sondern auf die schwarz glänzenden Brogue-Schuhe, die der Dachs übrig gelassen hat.
Der an den Fundort gerufene Lokalreporter Ronny Gustavsson hat sie früher schon einmal gesehen, an einem teuer gekleideten Mann mit einem dicken BMW an der Landstraße. Doch das verrät Ronny der Kriminalpolizei nicht. Weshalb der Tote auch nicht identifiziert werden kann. Und so bleibt die spektakuläre Leiche erst einmal liegen. Viele Seiten lang.

Ronny und Christian – Helden aus der Schachtel
"Per Johansson" wendet die Erzählung einem anderen Schauplatz zu und begeht dabei den gröbsten Fehler, den man als Krimiautor begehen kann: Er unterschätzt die Intelligenz seiner Leser. Ein Kapitel, in dem die New Yorker IT-Sicherheitsfirma eines Richard Grenier in schlichtester Tatort-Dramaturgie vorgestellt wird, reicht, um jedem Leser mit ein bisschen Krimi-Erfahrung klarzumachen: Achtung, das sind die Männer im Hintergrund! Nach den ersten vierzig Seiten ist klar, dass der deutsche Spitzenjournalist "Christian" in den USA einer Verschwörung auf die Spur gekommen ist, die ihn in Schweden nach ein paar tödlichen Schaufelhieben auf dem Speiseplan von Bertils Dachsfamilie enden ließ.
Damit ist das Interesse des Lesers am Fortschritt der Ermittlungen vorzeitig erlahmt. Ihm geht es nicht einmal mehr wie Ronny, der sich "irgendwie, auf eine unklare Weise für den Toten verantwortlich fühlt." Weder die Polizei noch Ronny, der Amateurdetektiv, unternehmen größere Anstrengungen, um den Täter zu finden. Zu ihrem Glück sind "Dachse reinliche Tiere." Sie haben das Schlüsselbund des Toten in ihren Bau geschleppt und nach einer Weile beim Aufräumen wieder ans Tageslicht gefördert. Damit kann er endlich als Christian Meier und umtriebiger Chefredakteur eines konservativen Berliner Boulevardblatts identifiziert werden.
Während im Untergrund die Dachse mit reinigender Naturkraft für Ordnung sorgen, herrscht an der Erdoberfläche menschliches Gefühlschaos. Durch Zufälle, die sich aus der Verquickung schwedischer und globaler Schauplätze ergeben, wird Ronny wieder zum Kreis einer spröden Jugendfreundin zugelassen und stößt dort auf Greniers schwedischen Gegen- und Mitspieler Wilhelm af Sthen. Zu dessen Internet-Verschwörungs-Gemeinde gehörten auch Freundin Benignas Tochter Katharina und deren Freund Magnus. Unheil bahnt sich an, Notebooks werden gestohlen und gesucht, Grenier selbst rückt mit Schlägern in Schonen an. Ein Sturm bricht aus, Wilhelm wird verletzt. Und dann die Enthüllung: Nicht die großen Internetmanipulateure Grenier und Wilhelm haben den Enthüllungsjournalisten auf dem Gewissen. Es waren die beiden Jugendlichen. Um die vermeintlich revolutionären Netzwerke Wilhelms vor dem zudringlichen Meier zu schützen, lockten sie ihn in Bertils Scheune und griffen zur Schaufel. Große Kolportage. "Es ging ganz schnell," lässt Johansson das höhere Töchterchen gestehen. Und weiß offenkundig nicht, was für ein Gemetzel es ist, jemanden mit der Schaufel totzuschlagen.

Etwas Symbolisches bläht sich auf
Ein Junge, der erhängt vor der IKEA-Zentrale in Älmhult baumelt, ein Zitat aus Dostojewskis Dämonen auf dem Herzen, Deleuzes Rhizome, und sehr viele Leitartikelsätze über Krise, Schuld und Kapital - im Sturm geht es nicht um Realität, um reale Verbrechen und Machtverhältnisse, Gewinn oder Verlust. Auch um Journalismus, von dem immerhin viel die Rede ist, geht es nicht, sondern um etwas Symbolisches. Ängstlich starrt unser aller kleiner Ronny auf den ungeheuren Sturm, der als Folge der Finanzkrise am Welthorizont heraufzieht und die Zivilisation bedroht. Dem voraus zu Warnung und Mahnung legt die Naturmacht eines Hurrikans Schonens Wälder und traditionelle Wirtschaftsweise nieder, erschlägt den Verbrecher-Rebellen Wilhelm und hebt sogar noch den verschwundenen BMW eines von den Dachsen gefressenen deutschen Spitzenjournalisten ans Tageslicht gelangweilter Ermittlungen. Und so löst sich alles in dem wohlfeilen Gemeinplatz auf, dass die Naturgewalten mächtiger sind als die Zivilisation.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung im Die Zeit Nr. 36 vom 30.08.2012

Erschienen im abflauenden Feuilletonsturm über einen angeblichen Schlüsselroman, in dem der Feuilletonchef der Süddeutschen, Thomas Steinfeld, seinen ehemaligen Chef, den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher bloßstellen soll. Diese Aufregung wurde ausgelöst vom Literaturkritiker Richard Kämmerlings, der in der Welt offenlegte, dass sein ehemaliger Chef Frank Schirrmacher von Thomas Steinfeld unter Pseudonym in einem Schwedenkrimi ermordet wurde. Damit wurde eine literarische Belanglosigkeit zum Sturm im Wasserglas.