Tobias Gohlis über Robert Littell: Die Söhne Abrahams




Im Teufelskreis

Wer kriegt das Land zum Vaterland?

Zwe blinde Fundamentalisten

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Robert Littell:
Die Söhne Abrahams

 

 

Robert Littell: Die Söhne Abrahams

Während sich alle Welt die Köpfe heiß redet über dem Buch des Sohnes (Johnathan Littell: Die Wohlgesinnten), hat Vater Robert Littell wieder einen spannenden, hintersinnigen und witzigen Politthriller geschrieben. Der deutsche Titel ist glänzend gewählt, führt er doch ins Zentrum des Konflikts: Juden und Araber sind Kinder Sems, des ältesten Sohns von Noah. Und theologisch sind Juden und Muslime Söhne Abrahams (über Frauen als Helden der Geschichte ist im Vorderen Orient traditionell wenig die Rede). Zumindest in der Sicht des Koran. Darin gilt Urvater Abraham als der erste Muslim, als der erste, der den wahren Glauben an einen Gott annahm und die Anbetung diverser Naturgötter ablehnte. Zum Zeichen seines neuen Gehorsams war er sogar bereit, seinen Sohn Isaak zu opfern. Mit dem anderen Sohn Ishmael begründete er die Kaaba und schlug dort den Nagel als Nabel der Welt in den Boden.

Im Teufelskreis
Das alles muss man nicht wissen, wenn man Robert Littells Die Söhne Abrahams (original 2006: „Vicious Circle“) zu lesen beginnt. Man erfährt es auch so. Zunächst beginnt Littell ganz untheologisch: Mit dem Attentat einer palästinensischen Kampfgruppe auf einen israelischen General und seine amerikanische Geliebte. Darauf folgt das Vergeltungsattentat des Mossad, auch ein paar Tote. An dem ersten Attentat ist ein fast blinder Doktor beteiligt. Er erledigt seine Opfer mit einem aufgesetzten Schuss hinter die Ohren. Sein Kampfname ist Abu Bakr, wie der erste Kalif, der auf Mohammed folgte. Nach diesem Vorspiel sind einige Jahre ins Land gegangen, in der vorgestellten Zukunft herrscht eitel Licht, und ein Friedensabkommen zwischen Palästinensern und Israel steht kurz vor der Unterzeichnung. Die amerikanische Präsidentin (Wahlprognose!) hat den nahöstlichen Streithähnen den Waffen- und Geldhahn zugedreht, um sie an den Verhanhdlungstisch zu zwingen. Wie die Unterzeichnung des Friedensvertrages trotz dieser äußerst vernünftigen Maßnahmen zu Fall gebracht werden könnte, und warum er vermutlich nie zustandekommen wird, ist Gegenstand des neuen Romans von Robert Littell.

Wer kriegt das Land zum Vaterland?
In Kalte Legende hat er in der Figur des Agenten Martin Odum eine moderne Variante des ewigen Juden mit einer Satire auf den modernen Geheimdienstwahn verknüpft. Nun geht es im Heiligen Land beider verfeindeter Religionen um Territorium. Wer kriegt das Wasser und das Land zum Vaterland? Das ist die politische Sichtweise des Konflikts, die aus der olympischen Ferne des Weißen Hauses ein Berater der Präsidentin in seinen Memoranden zu Protokoll gibt. In der staubigen Nähe Jerusalems (Littell widmet der Stadt einige wunderbare Passagen, Liebeserklärungen an eine der schönsten Städte der Welt) fällt der Konflikt rabiater aus. Der fundamentalistische Terrorist Abu Bakr, jener fast blinde Doktor mit der Kopfschusstechnik, hat Rabbi Isaak Apfulbaum („Schreiben Sie meinen Namen nicht mit e, sondern mit u“) entführt, einen ebenso fundamentalistischen Hassprediger. Er ist aus Brooklyn nach Israel gezogen, um vom orthodox-militanten Kibbuz „Beit Avram“ aus das höchste Gebot Gottes zu verkünden, das da lautet, Judäa und Samaria (also das Israel König Davids) solle wieder zu Gottes Land gemacht werden. Dazu sind dem Rabbi fast alle Mittel recht.

Zwe blinde Fundamentalisten
Entführer und Entführten eint der Wunsch, den Friedensprozess durch Ultimaten und Hinrichtungen zu Fall zu bringen. Umgekehrt gehen israelische und palästinensische Geheimorganisationen obszön weit zusammen, um den Schlupfwinkel Abu Bakrs ausfindig zu machen und die angekündigte Hinrichtung des Rabbi und seines Assistenten zu verhindern. Die mit allen üblen Geheimdienstricks vorangetriebene Suche nach dem Versteck der Entführer ist das Thrillermotiv, das den äußersten Spannungsrahmen des Romans bildet. Doch richtig raffiniert wird er durch die ebenso surrealen wie höchst plausiblen Entwicklungen im Innern des Verstecks. Denn aus der anfänglichen Übereinstimmung in einem Teilziel, Unterminierung des Friedensprozesses, entwickeln die beiden blinden Fundamentalisten in ihren immer wahnwitzigeren theologischen Disputen so viele Gemeinsamkeiten, dass sie sich schlussendlich als Brüder erkennen: als Isaak und Ishmael, die Söhne Abrahams. Natürlich kann das nicht gut enden. Littell beherrscht souverän beide Ebenen der Spannungserzeugung: die der Konstruktion eines raffinierten Plots und die des intellektuellen Kampfes der Weltanschauungen. Das Buch des langjährigen Nahostkorrespondenten sollte auf dem Nachttisch von Präsidentinnen und Präsidenten liegen, obwohl man bezweifeln kann, dass sie es verstehen.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung als Buchtipp der Woche bei ARTE