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Tobias Gohlis über über den Wahnsinn am Mt. Everest | |||
Klettervirus und Selbstüberschätzung Die vertikale Arena: Eigernordwand
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Nach Krakauers Bestseller: Bücherwettlauf in eisige Höhen Es war eine Katastrophe, wie sie zum Mount Everest gehört. Am 10. und 11. Mai 1996 starben fünf Menschen im Höhensturm bei dem Versuch, den höchsten Berg der Erde wieder zu verlassen. Einige von ihnen hatten Stunden zuvor triumphierend auf dem Gipfel gestanden. Nur in einem Aspekt unterschied sich ihr schreckliches Ende von dem der zehn anderen Bergsteiger, die im gleichen Jahr, und von dem der neun, die ein Jahr später am Berge der Berge umkamen: die Welt war dabei. Unschuldige Helden Bergsteigerklatsch Nicht nur am Berg ist es ein deprimierendes Gesetz, daß die Neulinge immer von unten anfangen müssen, um Erfahrungen zu machen. Ganz von unten her, aus den Unlotbarkeiten einer radikalfeministisch aufgeladenen Mythologie unternimmt Luisa Francia ihren Aufstieg. Frauen in eisigen Höhen - seit die pilgernde Nonne Ätheria 385 den Sinai erklomm, zieht sich ein Strom bergsteigender Frauen durch die Geschichte. Verkannt, vergessen, nur noch als Dämoninnen und Göttinnen im Innern der Berge präsent. Gegen die aus dem 19. Jahrhundert überkommene Frauenverachtung der Alpinisten rennt Francia an, als gelte sie unverändert. Ihre Begeisterung für den Unteren Himmel der bergsteigenden Frauen ist getrübt durch Männerphobie: "Wenn ich nachts irgendwo auf einem Berg liege, gibt es nichts, was Angst machen könnte. Ich bin noch nie einem Mann bei meinen Nächten auf irgendwelchen Bergen begegnet." Ihre "längst fällige Ergänzung zu den Abenteuerberichten über männliche Helden" (Klappentext) ist tatsächlich nur das: keine Erzählung von den beeindruckenden Leistungen der Bergsteigerinnen, sondern ein endloses Gejammer über Kränkungen durch männlichen Chauvinismus, eine Ergänzung eben. Alle nach Krakauer geschriebenen Himalaya-Bücher beziehen Stellung zur Everest-Katastrophe 1996, auch Francia. In einer Chronik weiblicher Bergleistungen kolportiert sie: "1996 überlebten drei Frauen eine Nacht bei vierzig Grad minus (..), nachdem ihre Expeditionsführer vorher auf und an dem Gipfel gestorben waren." Dies ist zweifellos die bizarrste Perspektive: menschenverachtender feministischer Höhenkoller. Einen weitaus erhellenderen, und in vielem auch Krakauers Version überlegenen Blick in die Hintergründe der Katastrophe offenbart der Bericht eines teilnehmenden Außenseiters. Der russische Höhenspezialist Anatoli Bukreev, ohne desssen außergewöhnlichen Einsatz übrigens die drei Bergsteigerinnen nicht überlebt hätten, war als Bergführer für die kommerzielle Expedition des Unternehemens Mountain Madness angeheuert. Da er weder genügend Englisch sprach noch mit dem westlichen Lebensstil der anderen Teilnehmer klarkam, als erfahrenster Höhenbergsteiger aber eigensinnig war, blieb er sozialer Außenseiter. Behandelt fühlte er sich wie die Sherpas, deren Wohlbefinden auch nur zum Thema wurde, wenn ihre Dienstleistugen auszufallen drohten. Sein Buch zeigt, wie unter schlechten Wetterbedingungen in der extremen Höhe jeder winzige Fehler tödliche Folgen hat. Es ist eben mountain madness, über 8000 Metern, wo jeder mit sich selbst kaum klarkommt, Menschen verantwortlich führen zu wollen. Über weite Strecken hatte Bukreev keine Anweisungen und konnte mit niemandem Verantwortlichen Kontakt aufnehmen. Erschütternd liest man, wie der Russe verzweifelt und erschöpft nach einer heroischen Rettungsaktion am Tag nach der Katastrophe den Leichnam seines Freundes und Bosses Scott Fisher findet, dem er nicht mehr helfen kann. Dieses unspektakuläre Buch unterstreicht, was auf einer anschließenden Beratung der beteiligten Bergsteiger festgehalten wurde: Ohne eine absolut verbindliche Umkehrzeit (die im Mai 1996 um Stunden überschritten wurde), ausreichende Kommunikation und Sauerstoff-Reserven ist kommerzielles Gruppenbergsteigen am Everest unverantwortlich. Ebenso deutlich ist aber auch, daß niemand oberhalb von 8000 Metern klettern sollte, der nicht alle Voraussetzungen mitbringt, allein auf sich gestellt aus der Todeszone zu kommen. Und das tun nur wenige. Und kaum jemand kann mit soviel Glück rechnen wie der Arzt Beck Weathers, der in jenem Mai 1996 am Südsattel des Everest zweimal für tot gehalten und liegen gelassen wurde, und doch noch mit schwersten Erfrierungen gerettet werden konnte. Nachzuvollziehen ist dies in dem ausgezeichneten Text-Bild-Band der National Geographic Society Everest - Gipfel ohne Gnade. Triumph und Katastrophe liegen am Everest so dicht beisammen wie die erforenen Leichen seiner Opfer. Zwölf Tage später, am 24. Mai 1996, erstürmte der Tiroler Hans Kammerlander in einem 16-stündigen Parforcemarsch von der tibetischen Nordseite her ohne Biwak, Sauerstoff und Eispickel den dritten Pol der Erde. Kammerlander stellte nicht nur den Temporekord für diese Route auf, er war auch der erste, der den Gipfel auf Skiern verließ. Eine Grenzleitung eigener Art: an den Steilhängen der Achhtausender ist die Abfahrt per Ski weitaus kräftezehrender als der Aufstieg zu Fuß. Schnelligkeit ist für Kammerlander der Schlüssel zu Sicherheit. "Die Taktik des wirklich extremen Bergsteigens reduziert sich immer mehr auf die beiden wesentlichen Faktoren klein und schnell. Mit einem Minimum an notwendiger Ausrüstung blitzschnell aufsteigen und genauso rasch wieder hinunter - dies ist die beste Chance zu überleben. Je kürzer man am Berg ist, desto weniger ist man Lawinen, Steinschlag, Wetterstürzen und den Gefahren der Höhenkrankheit ausgesetzt." Als Bergsüchtig versteht sich Kammerlander - eine Erklärung für die Motive des Artisten, die genauso treffend ist wie Krakauers "Besessenheit". Kammerlander probierte neue Kombinationen an der Grenze seines Leistungsvermögens. Alle vier Grate des Matterhorns erstieg er, umschwirrt und gefährdet von den Helikoptern der Filmteams, in 24 Stunden. Nachdem zwei Freunde bei einer von ihm geleiteten Expedition an einem Achttausender umgekommen waren, löste er das daraus entstandene psychische Trauma, in dem er ebenfalls in 24 Stunden die 1400 Meter hohe Nordwand des Ortler, die anspruchsvollste Eiswand der Alpen, und die 550 Meter der Großen Zinne, eine der steilsten Felsklettereien der Dolomiten durchstieg. Die 250 Kilometer zwischen den beiden Wänden fuhr er mit dem Rad. Sein größtes Problem dabei: der Straßenverkehr. Kammerlander ist ein sensibler Eisen-Mann. Noch mehr als seine Leistungen beeindrucken den Leser seines unaufgeregten Buches sein Umgang mit der Angst, seine Überwindung der Schrecken des Eises und der Finsternis. Kammerlander hat gefunden, daß sie in ihm selbst liegen. Kammerlander ist auch der einzige, der kaum berührt ist vom Sensationellen der Everestkatastrophe. Für die Expeditionsleiter Rob Hall und Scott Fisher vermag er weniger Mitleid zu empfinden als für die "Sherpas, die überforderten Klienten und die Familien derer, die am Everest blieben." Fisher und Hall opferten sich für ihre Kunden. Ihre Unternehmen Adventure Consultants und Mountain Madness bieten im Mai 2000 wieder geführte Expeditionen auf den Everest an, auf der Südroute, wie 1996.
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