Sauerstoff der Erfahrung
Zerbrechende einsame Männer
Welt hinter Mattglas
Auftrag verändert
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James Sallis:
Der Killer stirbt
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger
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Schwer verständliche Botschaften des Lebens
Vorwort zum Kultkrimi "Der Killer stirbt" von James Sallis in der Büchergilde Gutenberg
Unter den vielseitigen amerikanischen Krimiautoren ist James Sallis ein besonders vielseitiger. Der 1944 in Helena, Arkansas, geborene Autor wechselt nicht nur zwischen verschiedenen Genres populärer Kultur, er wechselt auch zwischen den Sprachen, schreibt mal Sachbuch, mal Krimi, Kurzgeschichte oder Lyrik. Nachzulesen ist vieles davon auf seiner gut gepflegten Homepage, aber vieles versteckt er auch in Bescheidenheit. Dass er Puschkin und Queneau übersetzt und klassische Musik studiert hat, hängt er nicht an die große Glocke, und immer noch kann er sich überschwänglich freuen, wenn ein Buch von ihm gut aufgenommen wird. Sallis wuchs im Süden auf, bis zu seinem zehnten Lebensjahr spielte er nur mit schwarzen Kindern, bis man ihm bedeutete, dass "das nicht mehr ginge".(1) Sallis erste Faszination war die Musik. Er spielt verschiedene Instrumente und hat etliche Sachbücher über Jazz geschrieben.
Sauerstoff der Erfahrung
"So many years I did not write. / So many years I did not live,"(2) behauptet Sallis. Aber das, was er erlebt hat, ist so viel, dass es durch seine Bücher strömt wie der Sauerstoff, den die Lunge ins Blut pumpt. Seine Erfahrungen als Kind im Süden und als Student an der Tulane University in New Orleans nähren seine Romane um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin(3). Erfahrungen als Musiker und als (Atem-)Therapeut grundieren die Trilogie um den Ex-Cop, Ex-Sträfling und Ex-Therapeuten Turner, der im Hinterland von Memphis als eine Art privater Hilfssheriff auf Zuruf tätig wird.(4) Sallis begleitet darin seinen Protagonisten auf der Suche nach einem Schwerpunkt im Leben – Sinn wäre ein zu schweres, bedeutsames Wort. Die Verbrechen, die mehr oder minder durch Zufall den Zustand traumähnlichen Friedens in Turners kleinem Kaff stören wie ein Stein, der in einen Teich geworfen wird, lösen bei Turner Erinnerungsschübe an andere, vergleichbare Situationen oder Konstellationen seines früheren Lebens aus.
Zerbrechende einsame Männer
Diese taumelnde, eher dem Traum als der philosophischen Erörterung zuneigende Erzählweise der Turner-Trilogie ist eine der Quellen, die den außergewöhnlichen, seltsamen Thriller speist, den Sie jetzt in Händen halten. Eine andere, thematische Quelle entspringt der langen Recherche nach einem Bild des amerikanischen Mannes, die Sallis in verschiedenen Romanen unternommen hat. Er hat die zerbrechenden einsamen Männer schreibend umkreist, die Außenseiter per se, die Berufsmörder. In Driver(5) (Deutscher Krimipreis 2008) modellierte er in der Figur des Profi-Fahrers die zeitgenössische Variante des Lonesome Riders. In Deine Augen hat der Tod(6) lotete er das Modell des einsamen CIA-Agenten bis zum existenziellen Grund aus, als ein Leben außerhalb "der menschlichen Rasse".
In diesen beiden Büchern stellte Sallis seine zerbrechenden einsamen Männer noch in eine Wirklichkeit aus Landschaft, Stadt und anderen, feindlichen Männern, an der sie sich stoßen konnten. Aber bereits sie wussten: "Das Leben schickt uns ständig Botschaften – und sieht dann gemütlich zu und lacht sich einen darüber ab, dass wir unfähig sind, aus ihnen schlau zu werden."(7)
Welt hinter Mattglas
In Der Killer stirbt hingegen sind Straßen, Wohnungen, Hospiz, Krankenhaus und Polizeirevier, die ganze Topographie der Stadt Phoenix wie hinter Mattglas gezeichnet. Auch die äußere Handlung zählt kaum noch. Sie gibt nur den Anstoß und manchmal Anhaltspunkte oder Auslöser für die Träume, Erinnerungen, Geschichten in den Köpfen der Protagonisten. Die Welt des Handelns verschwimmt, sie ist eine verschwindende. Präsent, im Vordergrund, schweben die inneren Vorgänge, beleuchtet manchmal von den Bildern, die durch die Fenster hereindringen.
Selbst die Grenzen zwischen den Personen scheinen fließend. Da ist Jimmie, ein Schuljunge, der seit Jahren allein in dem Haus lebt, das seine Eltern irgendwann verlassen haben. Er ist eingesponnen in die Welt des Internethandels, von dem er lebt, und in die die Fabelwelt, die der Chat über einen Außerirdischen ausmalt. Jimmie träumt viel und träumt auch, so scheint es zeitweise, die Träume – oder Varianten davon – des Auftragsmörders, der zu seinem letzten hit in die Stadt Phoenix gekommen ist.
Dieser, paradox Christian genannte Mann (Man könnte über die Konnotationen christlich – Christus – Erlöser – Opfer einen eigenen Essay verfassen) ist in einen aussichtslosen Konflikt verwickelt. Todkrank, die schwindenden Kräfte mobilisierend, versucht er seinen letzten Auftrag zu erfüllen, obwohl ihm der, was Umstände und Objekt betrifft, Rätsel und Zweifel aufgibt. Doch bevor Christian handeln kann, wird der unauffällige Buchhalter, den er töten soll, ihm quasi vor den Augen weggemordet. Von einem konkurrierenden Dilettanten, wie sich herausstellt, der das Opfer nicht einmal umzubringen vermag.
Auftrag verändert
In einem Essay hat James Sallis über die Detektivgeschichte als amerikanische Literaturform angemerkt, dass ihre Kraft zu einem Großteil auf der Erkenntnis beruht, "dass es keine Moral oder Ordnung gibt, abgesehen von der, die man für sich selbst schafft." Die einfachste moralische Regel, die der Detektiv und der Killer teilen, lautet: Erfülle den Auftrag. Und diese Moral zerbröckelt in Der Killer stirbt wie der Mann selbst – eine grandiose Grundkonstellation, in die die anderen Spinnweben der Handlung eingewebt sind.
In einem Vorwort zu einem Thriller darf man nur darauf hinweisen, dass vieles, das rätselhaft ist, seine Aufklärung findet. Manches aber auch nicht. Die Vorstellung, ein Autor müsse am Ende alle losen Fäden zusammenbinden, sieht James Sallis als eine der Täuschungen des Romans an, die den Blick auf die Wirklichkeit verstellen: "Ich wollte die Realität nicht, an die wir durch Romane gewöhnt sind, in denen alles ausgesprochen wird und alles einen Sinn ergibt"(8). Insbesondere das Sterben ergibt keinen Sinn. Und das ist das große Thema dieses Buches: Es sammelt und vermittelt Erfahrungen des Verschwindens, Hinscheidens und Sterbens. Eingebunden in die pragmatische Welt von Auftragskillern, Polizisten, Jugendlichen. Die irgendwann begreifen, was Leere ist.
Tobias Gohlis, Hamburg, Oktober 2011
Der Killer stirbt stand von Juni bis August 2011 auf der KrimiZEIT-Bestenliste und wurde unter die 10 besten Krimis des Jahres gewählt.
Anmerkungen:
1 Georg Schmidt zitiert Sallis in seinem Nachwort zu "Die langbeinige Fliege", Köln 1999, S. 197
2 So viele Jahre habe ich nicht geschrieben./ So viele Jahre habe ich nicht gelebt. TG
3 Nur zwei der sechs Griffin-Titel sind auf Deutsch erschienen: "Die langbeinige Fliege" 1999, "Nachtfalter" 2000
4 "Dunkle Schuld" 2009, "Dunkle Vergeltung" 2010, "Dunkles Verhängnis" 2011, original in den Jahren 2003 bis 2007 veröffentlicht
5 Driver, aus dem Englischen von Jürgen Bürger, München 2007, Original "Drive" 2005
6 Deine Augen hat der Tod, aus dem Englischen von Bernd W. Holzrichter, München 2008, original 1997
7 Driver, aao., S. 35
8 sinngemäß, aus dem Interview mit Joachim Feldmann, in culturmag, http://culturmag.de/crimemag/
interview-mit-dem- autor-james-sallis/24089 zuletzt aufgerufen: 4.10.2011
Siehe auch: Tobias
Gohlis über James Sallis: Driver
Siehe auch: Tobias Gohlis: Vorwort zu den Kultkrimis
Driver und Driver 2 von James Sallis
Siehe auch: Tobias
Gohlis über James Sallis: Dunkle Schuld
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