Tobias Gohlis über Jenny Siler: Portugiesische Eröffnung




Sie will nicht, sie muss den ehemaligen Geliebten suchen

Bereits als Kollateralschäden abgeschrieben

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Jenny Siler:
Portugiesische Eröffnung

Aus dem Amerikanischen von Susanne
Goga-Klinkenberg

 

 

Jenny Siler: Portugiesische Eröffnung

Es geht um Leben und Tod, natürlich. Und um Geheimnisse. Für die getötet wird, für deren Bewahrung Helden sterben. Doch welche Geheimnisse sind heute noch das Leiden und Sterben wert? Ein Superhero ist Sabri Kanj in Jenny Silers fulminantem Politthriller Portugiesische Eröffnung nicht. Und doch wird der Mann, irgendwo in einem Höhlengefängnis in der libanesischen Wüste, aller Folter zum Trotz nichts verraten. Sabri Kanj ist bereit zu sterben, vorher aber will er einen Amerikaner sprechen. Er hält durch, bis eine scheinbar ganz andere Geschichte an ihr Ende kommt, und so hat man diesen Gefangenen fast schon vergessen, als die Zusammenhänge deutlich werden.

Sie will nicht, sie muss den ehemaligen Geliebten suchen
Gewaltanwendung ist ein Eingeständnis von Schwäche. Geschickt inszeniert sich CIA-Agent Valsamis als Mann von Macht, als er Nicole Blake in ihrem abgelegenen Haus in den französischen Pyrenäen aufsucht. Ihm reichen ein paar Andeutungen, um sie dorthin zu zwingen, wohin sie nicht will. Sechs Jahre hat die Fälscherin in Marseille im Knast gesessen. Jetzt will sie nur noch die Ruhe genießen und hin und wieder einen Job für eine Sicherheitsfirma erledigen. Valsamis zeigt ihr Photographien, auf denen ihr frühere Geliebter Rahim Ali mit irakischen Geheimdienstleuten zu sehen ist. Nicole soll ihn für Valsamis in Lissabon suchen. Vielleicht kann sie ihn vom Terroristenverdacht befreien. Nicole Blake ist die klassische Amateurin mit Fähigkeiten, die eine Spionagegeschichte würzt. Noch schwelgt sie im regennass winterlichen Lissabon in Erinnerungen an die Zeiten vergangener Liebe, da wird der gerade gefundene Geliebte vor ihren Augen erschossen. Sie flieht, mit einer gefälschten Versandrechnung über Stahlkabel aus Transnistrien und einer jungen Portugiesin. Als Zeuginnen sind sie in Lebensgefahr.

Bereits als Kollateralschäden abgeschrieben

Falsche Identitäten, gefälschte Dokumente, das Leben ein Trug — Siler mischt die Elemente der Spy Novel mit Finesse. Werden die beiden in Washington bereits zu Kollateralschäden deklarierten Frauen dem auf sie angesetzten Attentäter entkommen? Können sie die Informationen gewinnen, die ihnen das Überleben für den nächsten Moment sichern? Trickreich und in einer von aller Emotion skelettierten Sprache verwickelt Siler die Spannungsmomente von Flucht, Verfolgung und Geheimnissicherung mit der Vorgeschichte, in der die persönliche Schicksale der Protagonisten — ohne Nicoles Wissen — längst verknüpft sind. Siler führt zurück an einen Wendepunkt amerikanischer Nahostpolitik: 1983 wurde die amerikanische Botschaft in Beirut von arabischen Terroristen in die Luft gesprengt, unter den Opfern waren alle Nahost-Residenten der CIA – mit einer Ausnahme. Von dieser Tatsache her entwickelt Siler ihre Was-wäre-wenn-Intrige und verknüpft sie mit den Geheimdienstoperationen im Vorfeld des Irakkriegs. Und hier ist auch das Geheimnis verborgen, das den Einsatz des Lebens lohnt. Siler klagt nicht an. Mit traumhafter Lakonie schreibt sie Amblers Tradition fort.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 28 vom 3.7.2008