Tobias Gohlis über das Krimi-Fest im Westerwald

 


Maeve Carels: Chat'n Kill

 


Sabine Deitmer: Dominante Damen



Roger M. Fiedler: Pilzekrieg

 


Richard Birkefeld/ Göran Hachmeister: Wer übrig bleibt, hat Recht

 


Bernhard Jaumann: Saltimbocca

 


Die Eifel-Krimis von Jacques Berndorf erscheinen im Grafit-Verlag


 

 

Krimi-Fest im Westerwald

Am Parkplatz Holzbachschlucht steht ein Wohnmobil. Das rote Herz über der Tür lockt vorbeirauschende Westerwäldler an. Hin und wieder biegt einer ab. Dann gleitet ein blaues Kabrio heran, ein Mann steigt aus, zieht die Hosen hoch, nähert sich abwägenden Schritts. Doch was sonst im Verborgenen geschieht, ist heute öffentlich. Der Banker kriegt die sechs- und die neunschwänzige Peitsche, gerade so, dass die Haut aufplatzt, sich aber keine Narbenknötchen bilden können. Sabine Deitmer, Dortmund, liest aus Dominante Damen. Ein gutes Dutzend Hausfrauen aus Wengenroth, Langenhahn und Guckheim, aufgeputzt als ging's zum Shopping, nippt am Sekt und verfolgt Anekdoten aus dem Hurenleben - Criminale im Westerwald. Die Autorenvereinigung Syndikat lud zum Krimimfestival und verlieh die Glauserpreise.
Rund 200 Kriminalschriftsteller, Aliens aus Krefeld, Neu-Ruppin und Wien, sind eingesickert in die Verbandsgemeinden Westerburg und Rennerod, haben sich unter die Eingeborenen gemischt und tauchen wieder auf, wo jeder mit ihnen rechnet. In der Hauptschule, wo die 9 a mucksmäuschenstill Chat'n Kill und Maeve Carels lauscht (nur die Lehrer tuscheln); im Saal der Burg, wo weit nach Mitternacht Bürgermeister H. auf der Dessous-Show zu Liebestöter- Texten in durchbrochene Spitze schlüpft; in Scheune, Café, Gemeindebibliothek, Stadthalle und auf dem Fußballplatz.

Aus der Tiefe des Westerwalds
Provinz und Krimi, das ist eine besondere deutsche Verbindung. Wo Bundeswehr und ICE-Trassen Standortfaktoren sind, wo Träume sich in schiefergedeckten Walmdächern, niedrig gelegten Sportmobilen und Slips von Firma Krekel materialisieren, ist der Kriminalroman zu Hause. 60 Millionen Deutsche leben nicht in Metropolen, sondern zwischen ihnen. Für und über die schreibt Jacques Berndorf. Mit Romanen über seine Wahlheimat Eifel wurde er zum meistverkauften Kriminalschriftsteller der Republik. Für sein Gesamtwerk erhielt er von seinen Kollegen in diesem Jahr den "Ehrenglauser".
Aus der Tiefe des Westerwalds schreibt aber auch ein Roger M. Fiedler, der justament zum Jahrestreffen der deutschen Kriminalautoren in seinem Wohnumfeld mit Pilzekrieg einen postmodernen Anti-Regionalkrimi veröffentlicht hat. Heimatliebe, scharfe Beobachtung und Literaturverstand schließen sich nicht aus, längst ist die Provinz modern geworden.
"Singen und Lesen liegen nah beieinander", bedachten die Männergesangsvereine von Rennerod, als sie ihr sonst nur Mitgliedern vorbehaltenes Vereinshaus den Glauserpreisträgern öffneten. Unter silberglänzenden Pokalen lasen so Richard Birkefeld und Göran Hachmeister aus Wer übrig bleibt, hat Recht, einem der ersten deutschsprachigen Krimis, die in der NS-Zeit spielen. Und Bernhard Jaumann, der für Saltimbocca den "Glauser" und 5000 Euro in nicht fortlaufend nummerierten, kleinen Scheinen für den besten Roman bekam, überzeugte mit einem Genrebild aus der römischen Trattoria Pallotta. Gesungen wird auch dort: "La bandiera rossa trionferà", trotzig und laut, denn die Rigatoni con cacio e pepe könnten vergiftet sein. Kräftige, stärkende Volkskost wurde da serviert im Westerwald, für jeden Geschmack, selbstbewusst und ohne Wirtshausschlägerei. "Wie hat's Ihnen gefallen?" erkundigte sich der Spitzen-Bürgermeister. Gut.

Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 22 vom 22. Mai 2003