Tobias Gohlis über Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister

 


Mit dreizehn nicht strafmündig …

… aber kampfbereit

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Daniel Woodrell:
Der Tod von Sweet Mister

Aus dem Englischen von Peter Torberg

 

Gestrandet am Rande der Ozarks

Den US-amerikanischen Autor Daniel Woodrell können deutsche Krimileser seit 1994 kennen, als sei Debütroman Cajun-Blues erschien – mit achtjähriger Verspätung zum amerikanischen Original. Jahre lang war Woodrell nur unter Fans eine Größe. Berühmt wurde der 1953 in den Ozarks/Missouri geborene Autor als Verfasser der Romanvorlage zu dem mehrfach ausgezeichneten Film Winter's Bone, der 2011 u.a. wegen der Drehbuchadaption für den Oscar nominiert wurde.
Verspätet, aber nicht zu spät, halten wir jetzt Der Tod von Sweet Mister in der Hand. Das amerikanische Original erschien 2001, fünf oder sechs Jahre, nachdem Woodrell wieder in die Ozarks zurückgekehrt war. Die Ozarks sind ein Hochland im Zentrum der USA , ein Rückzugsgebiet par excellence. Aus Winters Knochen kennen wir ihre abgelegenen Täler, in denen das einzige halbwegs ertragbringende Produkt Methamphetamin und die einzigen religiösen Riten aus Derivaten von Gewalt und Schweigen bestehen. Am Rande dieses Hinterwalds liegt die fiktive Keinstadt West Table, ein Konglomerat mit den üblichen Zutaten amerikanischer Zivilisation: Tankstelle, Fast-Food-Restaurant, Kneipe und Friedhof. Dort hausen der dreizehnjährige Shug und seine wunderschöne, aber allzu sehr dem Träumen und dem vornehm "Tee" genannten Alk-Mix verfallene Mutter Glenda. Für die Miete halten sie den örtlichen Friedhof sauber, einer der vielen kleinen Dienste, die Shug anstelle seiner unpässlichen Mutter leistet. Doch Shugs Leiden heißt Red.

Mit dreizehn nicht strafmündig …
Red ist ein kleiner Dieb, Einbrecher und Sadist. Weil Glenda, die irgendwie ohne Mann nicht lebensfähig ist, ihm verfallen ist, ist es auch Shug. Shug ist zu dick und zu groß für sein Alter, was ihm nicht nur die stiefväterliche Anrede "Fettsack" einbringt, sondern auch nicht gerade geeignet macht, um an Regenrohren hochzuklettern. Weil Red und sein Einbrecherkumpel Basil fürchten, wieder in den Knast zu kommen und ziehen sie es vor, Fettsack Shug Medikamente aus Arztpraxen und den Zimmern todkranker Jugendlicher klauen zu lassen. Mit dreizehn ist man auch in den USA noch nicht strafmündig.

… aber kampfbereit
Shug hasst Red. Das liegt nicht nur daran, dass dieser ihn auf's Blut quält. Shug hasst ihn, weil er seiner Mutter Gewalt antut. Sie wirft sich zwischen Red und ihren kleinen "Sweet Mister", und Shug muss ertragen, was Red dann anstelle von ihm mit ihr treibt. Entweder Red bringt Shug um, oder Shug... Das ist die Ausgangskonstallation dieser am Rande der Ozarks gestrandeten Zwangsfamilie. Atemlos macht nicht nur die rasende Zuspitzung des Konflikts. Mehr noch ist es Woodrells ungemein lakonische, zwischen Gewalt und Liebessehnsucht manövrierende Sprachkunst – kongenial ins Deutsche übertragen von Peter Torberg. Woodrells "Bayou-Trilogie" um Detective René Shade wird jetzt vom Heyne-Verlag in einem Band herausgebracht. 650 Seiten härtester, witziger Bösartiger Stoff mit einem Vorwort des deutschen Krimiautors Frank Göhre: "eine Kampfansage an das Establishment, an die Dummschwätzer und Schönredner." Der Tod von Sweet Mister führte im Juli und August die KrimiZEIT-Bestenliste an.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung am 29.10.2012 im buchjournal 5-2012