Tobias Gohlis über Deon Meyer

 

Ein Autor, der zu wachsen wusste

Im Lowveld

Der Mensch und die perfekte Natur

Blinde Wut

 

 

 

Ein weißer Südafrikaner

Mit Thrillerautor Deon Meyer an den Schauplätzen seiner Romane: Lowveld, Kapstadt

Deon Meyer ist wahrhaftig kein Waschlappen. Um die 1,90 misst der Südafrikaner mit der Statur eines Rugbyspielers. Doch wenn ihn ein ausgewachsenes Gepardenweibchen zärtlich am Unterarm leckt, scheut der Kraftmensch ein bisschen. Ganz so wild mag er es dann doch nicht.
Der Umgang mit seiner geliebten BMW R 1200 GS Adventure fällt ihm entschieden leichter. Ein 250 Kilo schweres Motorrad kann man kontrollieren, eine wilde Raubkatze nicht. Kontrolle ist ein wichtiger Begriff für den südafrikanischen Autor. Ohne Disziplin, Beherrschung und genaue Selbstbeobachtung wäre Deon Meyer nicht der geworden, der er ist: der wichtigste zeitgenössische Krimiautor Südafrikas.
„Als Afrikaaner, als Weißer, der Afrikaans spricht, in Südafrika aufzuwachsen, das unterschied sich kaum von einer beliebigen Jugend in einem europäischen Land, unsere Werte waren die gleichen“, berichtet der 1958 in der Weinregion bei Kapstadt geborene Thrillerautor. Jetzt sitzen wir zwei Stunden Flugreise von dort entfernt unter dem Strohdach der Moholoholo Lodge, in der Nähe des Krüger Nationalparks ganz im Nordosten Südafrikas. In den Bäumen turnen Paviane und im Gebüsch leuchtet hin und wieder der typische weiße Doppelstrich auf, Tarnung und Markenzeichen der Kuduantilopen. Nebenan deckt eine schwarze Hausangestellte den Mittagstisch. Schon in Deons folgendem Satz werden die Unterschiede deutlich. „Rassismus kannte ich nicht. Ich bin als Kind einer armen weißen Familie aufgewachsen. Mein Vater war Arbeiter in einer Auszugfabrik. Nachmittags spielten wir Kinder im Veld, schwarze und weiße zusammen. Morgens gingen wir in getrennte Schulen, das war normal.“ Was Apartheid bedeutete, und was für ein menschenverachtendes System das war, begriff Meyer erst später, an der Universität, als er Englisch und Geschichte studierte. „Für einen jugendlichen Afrikaaner war es beinahe unmöglich, einen Anti-Establishment-Kurs einzuschlagen.“ Eine bizarre Situation: nach und nach merkte er, dass Südafrika überall anderswo geächetet wurde, obwohl ihm Pfarrer, Eltern und Lehrer weisgemacht hatten, ihre Welt sie perfekt. Unter dem Vorwand, die Bücher für seine Forschung zu benötigen, beschaffte er sich die verbotenen Schriften regimekritischer Autoren wie André Brink und Breyten Breytenbach. „Bis heute frage ich mich, warum ich nicht mehr gegen das Apartheidregime getan habe. Ich habe schwarzen Kindern Nachhilfe gegeben, mehr nicht. Der ANC (die heutige Regierungspartei Nelson Mandelas) nahm keine Weißen auf. Aber vielleicht lag es auch daran, dass ich als Kind einfacher Leute mein Studium selbst verdienen musste und für Politik wenig Zeit hatte.“

Ein Autor, der zu wachsen wusste
Schreiben wollte Deon Meyer, seit er neun Jahre alt war. Mit 14 verfasste er für die Geschwister ein 80-Seiten-Buch, als Student schrieb er „ziemlich scheußliche“ Gedichte, dann bekam er über Bekannte einen Job als Reporter, ausgerechnet bei dem nationalistischen „Volksblad“. Dort lernte er Subversion: Unter Pseudonym veröffentlichte er in den liberaleren englischsprachigen Zeitungen, was ihn beim volksblad den job gekostet hätte. Und begann, erste Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Er wollte das Schreiberhandwerk von der Pike auf lernen. Ein erster Politthriller des Selfmademans erblickte nie das Licht der Öffenltichkeit: „Die Figuren waren farblos und ohne Tiefe, ich musste noch Lebenserfahrung sammeln.“ Und so drehte er noch ein paar (höchst erfolgreiche) Kurven als Werbe- und Internetfachmann, und als BMW-Motorrad-Fahrer. Seine Leidenschaft für Offroad-Touren münzte er in Promotion für die schweren Maschinen um. Wer „Deon Meyer“ und „BMW“ in eine Suchmaschine eingibt, stößt auf Hymnen, die den Erfinder der „Great African GS Challenge“, einer jährlichen Südafrikatour mit Geschicklichkeitsprüfung, preisen.
Er liebt es einfach, mit 180 Sachen über Schotterpisten zu donnern. Nicht nur Motorradfans bewundern die mitreißende Schilderung einer Gewaltfahrt des schwarzen Romanhelden Thobela über Tausende von Kilometern quer durch Südafrika im preisgekrönten Thriller „Das Herz des Jägers“. Thobela hat 72 Stunden, um einen alten Freund zu retten, der in Zambia gefangen gehalten wird. Auch Moholoholo hat Deon Meyer auf einer seiner Motorradtouren entdeckt.

Im Lowveld
Das Rehabilitation Center, in dem sich Deon Meyer für die Fotografen von der Gepardin ablecken lässt, ist ein Angelpunkt in seinem neuen Roman Weißer Schatten. Hier, weitab von der Metropole Kapstadt, wo Meyer und seine Heldin Emma le Roux wohnen, kumulieren die ineinander verflochtenen Konflikte. Es sind Bruchzonen des Südafrika von heute, die die spannende Thrillerhandlung schärfen. Vierzehn geschützte Geier sind vergiftet worden, ein Naturschützer hat die Übeltäter erschossen. Auf der einen Seite Armut, Erniedrigung und Aberglaube der Schwarzen, die „Spielzeuge des Weißen Mannes“ attackieren und alte Landrechte gegen die Wildreservate einfordern. Dort die weißen Ökokämpfer, die gewaltsam bis zum Totschlag Lebensrecht und Lebensraum der Wildtiere verteidigen. Was Meyer im Roman dramatisch zugespitzt hat, ist, so erfahren wir, kaum abgemildert Realität.

Der Mensch und die perfekte Natur
Brian Johnson, Leiter des realen Rehab Centers, ficht unermüdlich trotz seiner 64 Jahre mit wilder Gestik für das Lebensrecht der Wildtiere, gegen das ignorante Gutmenschentum des WWF und schwarze Farmer, die Kühe für das höchste Glück halten. Seine Refugien sind voll mit Löwen, Wildhunden, Geiern und Adlern, die vergiftet und in Fallen verletzt wurden. Seine Familie wurde mehrfach überfallen, die Schussnarbe auf seinem Bauch zeigt er wie selbstverständlich. Der Mensch hat das perfekte System der Natur zerstört, predigt er.
Johnsons Thesen über Geier und Menschen hat Deon Meyer mehreren Figuren in den Mund gelegt. Bis tief in die Nacht diskutieren wir. Während vor dem offenen Fenster die Kudus an der Wasserstelle äsen, stapelt er Argument auf Argument, um die Destruktivität der menschlichen Gattung zu beweisen. Hier liegt ein Ansporn für sein Schreiben verborgen: Erzählen von der naturhaften Blindwütigkeit, mit der Menschen sich und die Welt um sie herum malträtieren.

Blinde Wut
Blinde Wut, Jähzorn, hat auch Lemmer, den neuen Helden, bereits einmal in den Knast gebracht. Jetzt arbeitet er als Bodyguard, als „Invisible“ (so der englische Titel) oder eben als Weißer Schatten. Wie Thobela, der ehemalige Auftragskiller des ANC, war auch Lemmer ein wilder Kämpfer und sucht jetzt Frieden durch Selbstbeherrschung. Nicht involviert werden, nur absichern – mit diesem Ethos begleitet er die wohlhabende Marketingspezialistin Emma auf der Suche nach ihrem verschollenen und totgeglaubten Bruder. Und verwickelt sich – wider Willen, aus Gerechtigkeitsempfinden und Notwehr – in einen großen Kampf mit weißen Rassisten und Kapitalisten, deren Herrschaftswille pure Vernichtungswut ist. Deon Meyer erzählt das in seinem bisher großartigsten Buch mit großer epischer Gelassenheit. So, wie er argumentiert: sanft, höflich, aber unerbittlich. Und mit großer Liebe zu seinem Land und seiner Natur. Vielleicht muss man beides sein, ein Pessimist im Großen und ein Optimist im kleinen, um so etwas Erstaunliches zustanden zu bringen: Thriller, in denen die Konflikte dieses wunderbaren, reichen und komplizierten Landes Südafrika ergreifende Gestalten werden. Denn inzwischen hat Deon Meyer die Lebenserfahrung und das Handwerk, um die Welt zu begeistern, zur Zeit in 17 Sprachen. Zum Abschluss diktiert mir der Pessimist: „Yes, I am very optimistic about South Africa's future in every sense. We have a strong, dynamic, robust democracy, which is still very young at just 14 years old. And the 2010 World Cup in South Africa will be a huge success ...“

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in buchjournal Herbst 2008 (21.9.08)

Siehe auch: Tobias Gohlis über Deon Meyer Weißer Schatten

Siehe auch: Tobias Gohlis über Deon Meyers Thriller aus Kapstadt