Tobias Gohlis über Ken Bruen: London Boulevard




Auf der Suche nach Noirness

Geht es noch schwärzer?

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Ken Bruen:
London Boulevard

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Die Jack-Taylor-Romane in der Übersetzung von Harry Rowohlt erscheinen im Atrium-Verlag, Zürich

 

 

Schwärzer als Noir

Der Ire Ken Bruen schickt einen Mann in die Hölle

Mitchell lässt sich nicht bremsen. „‘Mann, Mitch, mach langsam.’ Machte ich aber nicht.“ Danach landet Mitchell im Knast. Drei Jahre. Schwere Körperverletzung. Jetzt ist er wieder draußen, entschlossen, auch draußen zu bleiben. Zehn Minuten später bricht er einem Fensterputzer den Arm. Weil der genervt hat.
„In drei Jahren Gefängnis verliert man
Zeit
Mitgefühl
Und: Man wundert sich über gar nichts mehr.“

Listen wie diese gehören zum Sound des Iren Ken Bruen. Bruen hat eine Biographie, die an der Nadel enden konnte oder im Krimi. Bruen, promoviert in Dublins Trinity College über „Metaphysik im urbanen Umfeld„ und im Knast von Rio de Janeiro über Gewalt, Ex-Wachmann, Ex-Millionärstochtergatte, Ex-Junkie, seit ein paar Jahren sesshaft in seiner Geburtsstadt Galway, versucht es noch einmal mit Noir. Ja, mit dem guten alten Noir, in dem Loser mit aufrechter Haltung, gebrochenem Herzen und einer großen Verzweiflung auf die Hölle treffen, die die Welt ist. Jack Taylor ist so ein dark drunken hero. Die irische Polizei hat ihn gefeuert, jetzt kämpft er als Privatdetektiv mit dem Delirium und einer Welt, in der alles den Bach runter geht. Wenn ihm einer von der Zeit redet, die alle Wunden heilt, antwortet er: „Scheiß drauf, ich will nicht, dass die Wunde heilt. Sie soll eitern, damit ich sie nicht vergesse.“ Seit 2000 schreibt Ken Bruen an der Serie um Jack Taylor, seit 2009 wird sie von Harry Rowohlt übersetzt, Deutscher Krimipreis 2010.

Auf der Suche nach Noirness
London Boulevard ist ein Einzelstück, in der gleichen Zeit entstanden wie die ersten Taylor-Romane. Wir sehen Bruen auf der Suche nach Noirness. Wie schwarz kann ich die Welt schreiben? Mitch hat noch Chancen. Seine alten Kumpels helfen weiter, schon sitzt Mitch in einem tollen Apartment und verdient sich zum Dank ein bisschen was dazu als Schläger und Wohnungsräumer. Was dem einen sein Unglück, ist des anderen Glück. Ein Job als Mann für alles bei Lillian Palmer, dem berühmten Star, wird ihm angeboten. Lillian ist mehrfach geliftete Sechzig und wartet auf ihr Comeback, betreut von Butler Jordan. Diva, Butler, Palast, ein junger hilfebedürftiger Mann – das kennen wir von Billy Wilders Boulevard der Dämmerung. Nur hat Mitch den Film nicht gesehen. Sonst wüsste er, dass mit dem Betreten der verdunkelten Prachträume das Unglück beginnt. Aber wer lernt schon aus Filmen? Butler Jordan hält es Mitch vor die Nase: „Sie haben eine Handvoll mittelmäßiger Krimis gelesen und glauben, Sie verstehen was vom Leben.“

Geht es noch schwärzer?
Weil das nicht so ist, ist London Boulevard noch düsterer, endet noch grausiger als Boulevard der Dämmerung. Mitch erhält eine Lektion: Das gefährlichste Gift ist Hoffnung. Gemeinsam mit Jordan bekämpft er die Gangster, die ihm die Zukunft verstellen, Freundschaft entsteht, Mitch findet eine Geliebte... Das Ende, verzweifelt, brutal, düster, kann nicht verraten werden. Bruen zitiert die Hausgötter der Finsternis, die Meister des Noir, von Charles Willeford über Ed McBain und James Ellroy bis Derek Raymond. Ihnen allen zeigt er: Es geht noch schwärzer. Das ist die Kunst. Nicht das Leben.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung inDIE ZEIT Nr. 3-2011 vom 12.1.2011