Tobias Gohlis über Lee Child: Der Janusmann und Robert Wilson: Die Toten von Santa Clara

 




Ein Macho wie er im Buche steht

Reacher kennt alle Arten des Tötens

Robert Wilson, ein Fährtensucher

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Lee Child: Der Janusmann. Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Robert Wilson: Die Toten von Santa Clara. Aus dem Englischen von Kristian Lutze

 

 

 

 

Gesetze der Serie

Zugegeben, es gibt Autoren, die mich süchtig machen. Lee Child ist einer von ihnen. Als ich Anfang des Jahres mit einer Grippe im Bett lag, fiel mir sein Janusmann erst dann aus den Händen, als Seite 478 umgeschlagen und der Fight gewonnen war. Am nächsten Tag besorgte ich mir die anderen sechs Bücher von ihm, die es auf deutsch gibt, und konnte erst wieder gesund werden, als ich sie alle durch hatte. Lee Child ist ein begnadeter Spannungsautor. Als Produzent von Fernsehfilmen hat er sich ein einzigartiges Gespür für Timing, Spannungsbögen und –aufbau erworben. Hinzu kommt ein ausbalanciertes Gefühl dafür, bis zu welchem Punkt man eine Geschichte zwirbeln kann, ohne dass sie ihre innere Glaubwürdigkeit verliert.

Ein Macho wie er im Buche steht
Und dann hat er noch Jack Reacher erfunden, einen Macho, wie er im Buche steht, Scharfschützenkönig der US Marines,  Jazzliebhaber, rücksichtsvoll gegenüber den Frauen (sofern es sich nicht um bösartige handelt, doch selbst denen gibt er eine letzte Chance, üblen Typen nie).  Der kleine Junge in mir träumt davon, zu sein wie er. Und wie ich durch Umfragen herausgefunden habe, geht es nicht nur Männern so; auch Frauen, die sonst lieber zu weniger Blutgetränktem greifen, sind von Jack Reacher fasziniert.
Wie Peter O’Donnells wunderbare Stories um Modesty Blaise leben auch Childs Reacherromane von Elementen des Comics: kantige Charaktere, bedeutungsvolle Accessoires, holzschnittartige Psychologie, eine Dramaturgie der entschiedenen Gesten und vor allem: nicht ein Wort zu viel. Es muss etwas Archaisches oder anderweitig sehr tief  Liegendes sein, das in uns immer wieder nach Variationen der gleichen Geschichte verlangt.

Reacher kennt alle Arten des Tötens
Reacher war dreizehn Jahre Militärpolizist; das heißt: er kennt alle Arten des Tötens und der Gemeinheit. Schließlich war es seine Aufgabe, Verbrecher zu jagen, die zum Töten ausgebildet waren. Nach seiner Demobilisierung mit Ende des Kalten Krieges lebt er als Vagabund und nützt den Tag. Sind seine Kleider dreckig, kauft er sich neue, ist das Geld alle, jobbt er ein wenig. Etwa einmal im Jahr und oft durch äußeren Zwang oder durch eine Verpflichtung, die ihn einholt, wird er in einen Fall verwickelt. Im Janusmann läuft er etwa so: Reacher fingiert die Entführung eines reichen Muttersöhnchens, um eine Bande von wirklich üblen Großdealern anzulocken, an denen er sich schon seit zehn Jahren rächen will. Als sie das Elternhaus des Muttersöhnchens belagern, wird es ernst, Reacher ist verwundet, der letzte Verbündete entpuppt sich auch noch als Feind, Reacher schlägt sie alle und kauft neue Hosen.

Robert Wilson, ein Fährtensucher
Wie von einem anderen Planeten erzählen die Romane von Robert Wilson. Während Child ein einziges Heldenlied auf den Lonesome Rider variiert, unterwirft Wilson seine empfindsamen Protagonisten immer neuen Belastungen, erprobt Erschütterte in einer ungewiss gewordenen Welt. Wie ein Fährtensucher umkreist er Orte, Figuren und Zeiten: Zunächst veröffentlichte er zwei Romane über Spionage und Verrat im Zweiten Weltkrieg, Schauplatz Lissabon. Dann wechselte Wilson nach Sevilla und erfand mit dem Inspector Jefe Javier Falcón eine beinahe osmotische Ermittlerfigur, einen Seismographen unserer Unzeit. Im ersten Fall (Der Blinde von Sevilla) musste Javier Falcón die eigene Familiengeschichte aufrollen. Sein als Künstler weltberühmter Vater war ein Mörder und Betrüger und nicht einmal sein leiblicher Vater. Im zweiten Fall (Die Toten von Santa Clara) stößt er, immer noch gezeichnet von dieser Erfahrung der Selbstdestruktion und in psychotherapeutischer Behandlung, auf lose Fäden, die aus dem vorausgegangenen Drama herüberhängen.

Schatten aus dem Totenreich
Im Nobelvorort Santa Clara hat ein Bauunternehmer erst seine depressive, weit jüngere Frau, dann sich selbst mit einem Reinigungsmittel umgebracht. Nur die Art der Verletzung, die auf  Selbstbestrafung und tief empfundenes Schuldbewusstsein verweist, und einige winzige Ungereimtheiten wecken Javiers Zweifel am Offensichtlichen. Sein Herumstochern in den Biografien der Toten, der Nachbarn und der Familien löst weitere Todesfälle aus: eine Prostituierte wird ermordet, ein Schauspieler bringt sich um. Wie Schatten aus dem Totenreich treten nach und nach die Umrisse alter und neuer Verbrechen zu Tage. Ein Netzwerk von machtbesessenen Pädophilen wird, wie schon zuvor, wieder greifbar, kann jedoch nicht kaum gefasst werden, Teile der Polizei sind korrumpiert, schließlich muss Javier sich geschlagen geben. Alte Netzwerke der Macht sind mit neuen verknüpft. In der Niederlage gegen CIA und russische Mafia erleidet ein kleiner Chefinspektor am Südrand Europas ein altes anderes Gesetz der Serie. Es ist der Fluch des Sisyphos, über den Camus bemerkte, man müsse sich ihn als glücklichen Menschen denken.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 38 vom 15.9.2005

Sie auch Tobias Gohlis über Lee Child: Underground.