Tobias Gohlis zur Verleihung des Frauenkrimipreises in Wiesbaden


 

 


Agathe braucht keine Beschützer

Zur Verleihung des Frauenkrimipreises in Wiesbaden

Wenn ein Katzenkrimi von Katzen handelt, was ist dann bitte ein Frauenkrimi? Nach dem Verständnis der Jury, die am 30. November in Wiesbaden den besten Frauenkrimi der letzten beiden Jahre auszeichnete, ist ein Frauenkrimi einer, der „schlicht von einer Frau“ geschrieben ist. (Und ein Katzenkrimi wird von einer Katze geschrieben.)
Zum Glück ließ sich das Publikum, das vom 29.11. bis 1.12. am Lese- und Veranstaltungsmarathon um die Verleihung der fünf Kilo schweren Bronzefigur „Agathe“ teilnahm, von der leicht als Selbstdiskriminierung misszuverstehenden Etikettierung nicht irritieren. Die fünfzehn teilnehmenden Autorinnen – fünf „Mordsschwestern“ und insgesamt zehn von ihnen nominierte Wettbewerberinnen – bedurften keiner affirmative action, wie die Minderheitenprotektionsprogramme neudeutsch heißen. Sie sind sich der literarischen Qualität ihrer Arbeit bewusst genug, um den Begriff „Frauenkrimi“ als nützlich für den Buchhandel und irrelevant für ihre eigene Arbeit zu bezeichnen. Wenn man in Wiesbaden überhaupt etwas besonders Frauenhaftes finden konnte – neben der großen Zahl weiblicher Zuhörer – war es die ungemein entspannte Stimmung einer beinahe konkurrenzlosen Glückseligkeit, die unter den Bewerberinnen herrschte. Jenseits allen Branchen-Jammers, der im übrigen auch das Krimigenre kaum betrifft, waren sie zusammengekommen, um nette Kolleginnen zu treffen und strahlten, weil ihnen ihr Job Spaß macht.

Ein Job, den sie verdammt gut beherrschen. Es ist nicht mehr der Zorn der frühen Jahre, der die Szene dominiert. Zehn sehr differenzierte Stimmen waren zu vernehmen, von der unbekümmert drauflos erzählenden bis zu der traditionsbewusst literarisch anspielenden – jede für sich ein Kaliber. So schwer fiel der Jury die Entscheidung, dass sie den Preis (5.500 EUR) teilte. Das Autorenduo Martina Borger/ Maria Elisabeth Straub wurde für die an die Nieren gehende Studie einer Familienkatastrophe Kleine Schwester ausgezeichnet; als Überraschungssiegerin ging Irmtraut Karlsson mit ihrem Debüt Mord am Ring durchs Ziel, das satirisch die Aufdeckung eines Mordfalls durch ein Lehrmädchen in der Wiener Bürokratie erzählt. Einfach gut.

Unredigierte Fassung, veröffentlicht in der Zeit 50/2002