Tobias Gohlis über Reginald Hill: Rache verjährt nicht


Wolf Hadda Monster

Gekonntes Spiel mit Literatur und Vorurteilen

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Reginald Hill:
Rache verjährt nicht


Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

 

 

Wunderbar monströs

Der 2012 verstorbene Reginald Hill hat einen tollen Kriminalroman hinterlassen

Der Prolog in drei Schritten, spielend zu drei Zeiten, 1963, 1989 und 1991, macht das Fass auf: junge Männer gegen alte Männer, Verrat, Freundschaft und Krieg. Alles, was das Jungenherz begehrt, Krimilust, Gefahr und Abenteuer. Wen die ersten zwanzig Seiten von Rache verjährt nicht kalt lassen, ist für die Literatur verloren. Ich habe sie mit wachsender Begeisterung, Bedrückung und Trauer gelesen. Reginald Hill, vielleicht der letzte große Zauberer unter den britischen Kriminalschriftstellern, ist im Januar 2012 im Alter von 75 Jahren gestorben. Viel zu jung, viel zu früh. Rache verjährt nicht – im Original von 2010 düsterer archaisch The Woodcutter – ist hoffentlich nicht der letzte Roman Hills, der ins Deutsche übersetzt wurde, da gibt es noch zu tun.

Wolf Hadda Monster
Dieser Autor verfügt über viele Zungen. Er kann melancholisch und romantisch sein, lyrisch, ungezogen. Einer der größten Pöbler der Kriminalliteratur, der fette Detective Superintendent Dalziel, ist sein Geschöpf. Jetzt, in Rache verjährt nicht schafft er ein Monster. Wolf Hadda, steinreicher Hedgefonds-Manager, wird von der Polizei aus dem Schlaf gerissen, einer geifernden Pressemeute vorgeworfen und beschuldigt, Kinderporno gehortet zu haben. Hadda, ein Vulkan von Mann, flieht aus dem Gericht und wird auf der Straße zwischen einem LKW und einem Bus zermatscht.
Die Geschichte setzt sechs Jahre später neu ein. Hadda hat als humpelnder Krüppel, einäugig, entstellt überlebt. Im psychiatrischen Hochsicherheitsknast Parkleigh versucht die junge dunkelhäutige Psychologin Alva Ozigbo zu dem verhärteten Mann durchzudringen – ein Geständnis, die Einsicht in die Abartigkeit seines Trieblebens könnten den Weg zur vorzeitigen Entlassung öffnen. Hadda, das Biest, spielt ein großes Spiel mit der Schönen, und der Autor mit dem Leser.

Gekonntes Spiel mit Literatur und Vorurteilen
In märchenhaften drei Schulbuchheften offenbart Wolf der tapferen kleinen Seelendoktorin sein raues Innenleben und gewinnt das Herz der Leser gleich mit. Der Mann, geplagt, geprügelt, gestürzt, verraten, muss unschuldig sein. Und dann, als er tatsächlich freigelassen wird, heimkehrt ins kalte väterliche Forsthaus im Schatten des Schlosses, aus dem er einst die burschikose Grafentochter freite – da fallen Tod und Vernichtung wie das Schwert des Racheengels über diejenigen her, die vom Untergang des reichen Mannes profitiert haben. Raffiniert lässt Hill seine Geschichte kurz nach der Lehmann-Pleite einsetzen und spielt gekonnt auf der Klaviatur der Vorurteile. Welcher Vorwurf trifft vernichtender: Kinderschänder oder Heuschrecke? Von tiefstem Abscheu nähren sich beide. Und das Monster, hinter dessen erschreckender Gesichtsmaske ein rauer, aber ehrenhafter männlicher Geist zu arbeiten scheint – ist es nun, wie wir wünschen, unschuldig und gut oder doch ein diabolischer Täuscher?
Hill spielt immer über die literarischen Bande, Der Graf von Monte Christo klingt mit und Dickens' Pickwickier, Wordsworth lässt lyrisches Wolfsgeheul ertönen. Das ist kein Belesenheitsgehuber, sondern orchestraler Aufruf von Zwischen- und Nebentönen, der Krimi kommt rüber als Mahler-Symphonie. Mit Wonne unterwirft man sich den Verwirrungs- und Vorspiegelungsmanövern dieses Erzählers, lässt sich willig auf seine Rache- und Schauerscharaden ein. Es ist ein so trügerisch-schönes Versprechen, das am Ende winkt: Alles ist gut!

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 2 vom 3.1.2013

Siehe auch: Tobias Gohlis über Reginald Hill: Die rätselhaften Worte

Siehe auch: Tobias Gohlis über Reginald Hill: Ins Leben zurückgerufen