Tobias Gohlis über Francisco González Ledesma: Gott wartet an der nächsten Ecke




Mendez hasst Klimaanlagen

… Ledesma

… Böse Blumen der Gegenwart

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Peter Temple:
Wahrheit

Aus dem Englischen von Hans M. Herzog

 

 

Schüsse auf dem Nil

Noch zu entdecken: Der große spanische Autor Francisco González Ledesma und sein Inspector Méndez

Méndez ist alt, uralt. Als wir ihm im letzten Jahr zum ersten Mal begegneten, in Der Tod wohnt nebenan, da stand er, bei jedem Atemzug keuchend, kurz vor der Pensionierung, "also kurz vor dem Eintritt in das Stadium post mortem". Señor Méndez - er wird nicht mit seinem Titel Inspector angesprochen, der ist schon fast vergessen und außerdem nichts wert, denn Méndez ist so was von untergeordnet, dass es ein Glück ist, wenn ihn überhaupt jemand ernst nimmt - Señor Méndez ist die geniale Erfindung von Francisco González Ledesma. Dieser Inspector war von Beginn an uralt, musste es sein. 1983, als er in dem noch nicht übersetzten Roman Expediente Barcelona (Akte Barcelona) seine Ermittlungen aufnahm, war Franco acht Jahre tot und die bizarre Attacke des Oberstleutnant Tejero auf das spanische Parlament erst zwei Jahre her.

Mendez hasst Klimaanlagen
Ein junger spritziger Cop wäre da eine Lachnummer gewesen. Die Guardia civil stolzierte noch mit diesen mala sombra (böser Schatten) genannten schwarzen Dreispitzen herum. Méndez ist ein Fossil der Vergangenheit, er hat seinen Polizistenjob in blutbespritzten Kellern gelernt. Ihm ist alles suspekt: Klimaanlagen und saubere Unterwäsche, schlanke Frauen, im Grunde alles außerhalb der Altstadt von Barcelona. Sein Alter ist sein Pass für die Unabhängigkeit: ihm kann keiner mehr.

Ledesma
Über diesen Ricardo Méndez hat Francisco González Ledesma zwischen 1983 und 2009 zehn Romane geschrieben, und wenn Der Tod wohnt nebenan nicht 2008 mit dem Premio de la novela negra ausgezeichnet und ein Riesenerfolg in Frankreich geworden wäre, müssten wir in Deutschland weiterhin Manuel Vazquez Montalbán für den größten Kriminalschriftsteller aus Barcelona halten. Jetzt heißt es umdenken, nachlesen: Da gab es immer schon den klugen Andreu Martín und jetzt: Ledesma. Ledesma ist noch älter als sein Held. Er wurde 1927 geboren, sein erster Roman Alte Schatten (1948) erhielt einen Literaturpreis, durfte aber nicht erscheinen, der zweite Roman fiel ebenfalls Francos Zensur anheim. Ledesma wurde Anwalt, schrieb als "Silver Kane" ca. 500 Western, wurde Chefredakteur einer der ältesten spanischen Tageszeitungen und ist auf Deutsch jetzt zu entdecken.

Böse Blumen der Gegenwart
Der Tod wohnt nebenan von 2007, mit dem Ehrenwirth-Verlag startete, ist eine Hommage an das Barcelona vor den olympischen Spielen und der rasenden Modernisierung seitdem, ein Text von zorniger Kälte und virtuosem Arrangement der Zwischentöne. Gott wartet an der nächsten Ecke ist 1991 entstanden, ein wilderes, romantischeres Buch. Auf der Suche nach einem Welpen, dessen Mutter jede Nacht in den Hundeknast ging, weil es dort Futter gab, stürzt Méndez auf dem Friedhof über ein ermordetes Mädchen. Ein unbestimmter Impuls reist den alten Bullen aus seinem Tempranillodunst, er schnappt den Mörder, der im Auftrag höherer Kreise gehandelt hat. Méndez jagt weiter, in Madrid und Ägypten: Altes, fossiles, gieriges Geld und gierige Staatsdiener. Auf dem Totenfluss Nil der Showdown –im Western hat Ledesma Schießen geübt. Mit seinen Méndez-Romanen kehren wir zurück in eine Welt verständlicher Zeichen, undurchsichtiger Übeltäter und großer Skepsis, in Ruinen, in denen die bösen Blumen unserer Gegenwart keimen.

Unredigiertes Manuskript, DIE ZEIT Nr. 7 vom 3.2.2011