Tobias Gohlis über Dominique Manotti: Einschlägig bekannt




Das Große und das Kleine

Zwei harte Polizistinnen

Dominique Manotti:
Einschlägig bekannt

Aus dem Französischen
von Andrea Stephani


 

 

Ethnische Säuberung

Dominique Manotti über die Aufstände in den Banlieues

Unter den Autoren der Welt ist Dominique Manotti einzigartig. Im Alltag der Arbeiter, zumal dem der ins reiche Frankreich Immigrierten, findet sie, was kein Romancier sonst darin erkennt: den sozialen Gärstoff des Verbrechens. In ihrem Debütroman Hartes Pflaster von 1995 rekonstruierte sie den Streik illegal für die Pariser Modeindustrie arbeitender Türken als Manövrierfeld der Polizei- und Geheimdienste. Auch in Letzte Schicht (2010) verdichtet sie die globalen Machenschaften bei der Privatisierung eines Staatskonzerns mit dem Kampf lothringischer Arbeiter gegen Schinderei am Arbeitsplatz. Man las es mit der gleichen Empörung wie seinerzeit Upton Sinclairs Romane über die Sklavenwelt der amerikanischen Bergbauindustrie. Manotti beobachtet, recherchiert und konstruiert fern aller Klassenkampfromantik: Unten ist unten und Oben oben, Glück gibt es nur momentweise, im Bett.

Das Große und das Kleine
Wie das Kleine sich aus dem Großen ergibt und ihm doch in die Quere kommt, ist auch Thema ihres jüngsten Romans Einschlägig bekannt. Der Stoff dazu ist seit den Aufständen 2005 bekannt, als jugendliche Immigranten und Arbeitslose in den französischen „Problemvierteln“ ihre verzweifelte Wut gegen den Staat in brennenden Barrikaden ausdrückten. Der damalige Innenminister Sarkozy bramarbasierte damals, man solle „den Abschaum“ mit dem Hochdruckreiniger wegspritzen. Als „Ethnische Säuberung“ zitiert Manotti diese Strategie aus einem Behördenpapier. Im fiktiven Pariser Vorort Panteuil inszeniert und konglomeriert sie wie ein zeitgenössischer Shakespeare die Malaise der Banlieues. Verschärft wird der analytische Blick durch die Perspektive: Es ist die eines Kommissariats, das alle Widersprüche des Polizeiapparats auszutragen hat. Da sind die Hoffnungen der jungen Polizeianwärter, die hilflos in unübersichtliche Situationen gejagt werden. Da ist die Nachtschicht der Brigade Anticriminelle, die im Parkhaus ein Bordell organisiert. Da sind die rechtsradikalen Bullen, die schon mal Asylantenheime brennen lassen.

Zwei harte Polizistinnen
Und da sind zwei intelligente, harte Polizistinnen, jede auf ihrer Seite des Rechts. Kommissarin Le Muir, kalt und gefährlich, dient sich dem Innenminister als Exekutorin seiner Eindämmungsstrategie an. Ihre Gegenspielerin ist die arabisch-stämmige Kriminalistin Noria Ghozali, die nachweisen will, dass der Tod eines jungen Berbers, der Brand eines seit Jahren tolerierten Einwandererheims, rechtsradikale Umtriebe und Immobilienspekulation in Panteuil miteinander zusammenhängen und durch die neue Politik protegiert werden. Der Kampf zweier Polizeikulturen zersplittert an der multipolaren Wirklichkeit Panteuils. Manotti gibt einem Jungen die letzte Szene. „Mörderbullen wir tötn euch“ sprayt er an eine Brücke. Man liest Seite um Seite mit wachsender Empörung, Verzweiflung und Bewunderung. Manotti ist singulär.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung DIE ZEIT Nr. 36 vom 26.August 2011


Siehe auch: Tobias Gohlis über Dominique Manotti: Hartes Pflaster

Siehe auch: Dominique Manotti auf Lesereise in Deutschland