Tobias Gohlis über Petros Markaris: Faule Kredite




Volksfeinden den Kopf ab

Bonmots zur miesen Lage

Blickt da noch einer durch?

Petros Markaris:
Faule Kredite

Aus dem Griechischen
von Michaela Prinzinger


 

 

Kopflose Banker

Petros Markaris stellt sich der Griechenlandkrise

Kostas Charitos, Leiter der Athener Mordkommission, kann gelassen der Zukunft entgegensehen. Schließlich hat er die schwerste Krise schon hinter sich. Er musste seinen geliebten Mirafiori verschrotten, der ihn nun seit 1995 und sieben Kriminalromanen ächzend durch das permanente Stop and Go der griechischen Hauptstadt bugsiert hat. Auch seine geliebte Tochter Katerina wird endlich an den Traualtar treten. Für diesen schönsten Augenblick im Leben seiner Frau Adriani hat er eigens einen neuen Seat Ibiza angeschafft.
Für diese Marke hat Charitos sich aus Solidarität entschieden. „Die Spanier stecken doch momentan genauso in der Klemme wie wir. Zusammen mit Portugal, Italien und Irland zählen wir doch zu den PIIGS-Staaten.“ Heroisch fügt Schwiegersohn Fanis hinzu: „Aber im Schweinestall lebt es sich immer noch besser als im Haifischbecken.“

Volksfeinden den Kopf ab
2010: Griechenland steckt in der Krise. Petros Markaris, studierter Volkswirtschaftler, Goethe-Übersetzer, Krimiautor und Kolumnist mittendrin. Faule Kredite heißt sein Krimi zur Krise, wg. Aktualität wurde das Erscheinen der deutschen Ausgabe vorgezogen, als Band Eins einer geplanten Trilogie. Markaris: „Hoffentlich wird es keine Tetralogie!“
Kaum ist auf Katerinas Hochzeitsfest der letzte Tusch der Polizeikapelle verklungen, hat Charitos den ersten Mord am Hals. Dem Ex-Chef einer Bank, die man „systemisch“ zu nennen gelernt hat, wurde mit einem Schwertstreich der Kopf abgeschlagen. Markaris-Lesern kommt das bekannt vor. Auch in den Romanen Hellas Channel und Der Großaktionär ließ Markaris den gerechten Volkszorn auf diejenigen los, die man mit normalen juristischen Mitteln nicht erwischen konnte. Gemordet wurde, um Rache an den unerreichbaren Feinden zu nehmen, an Medienzaren und Werbeindustriellen. Die Krimi-Ermittlung brachte aufklärerisch Licht in das Dunkel finsterer Machenschaften. In Faule Kredite geht es nun den Finanzhaien an den Kragen. Ein griechischer und ein britischer Banker, der Regionalchef einer Rating-Agentur und der Boss eines Inkasso-Unternehmens verlieren den Kopf. Parallel dazu tauchen Plakate in der Stadt auf, die die Athener dazu aufrufen, alle Zahlungen an Banken einzustellen.

Bonmots zur miesen Lage
Die Suche nach dem – wie Charitos allzu leicht und sehr krimi-stereotyp vermutet – genialen Einzeltäter im Hintergrund ist jedoch nur ein recht dünner roter Faden. Wichtiger ist dem kritischen Beobachter Markaris, der auf Deutsch, Türkisch und Griechisch gleichermaßen spitzzüngige Kommentare verfasst, die panoramatische Erfassung der griechischen Gefühlslage. In bewährter Volkstheater-Tradition nutzt er Charitos' Recherchen unter Kioskbesitzern und Kurzwarenhändlerinnen, um Stimmen zur Lage einzufangen. Die Stimmung ist eine Mischung aus fruchtlosem Aufbegehren und resigniertem Einrichten auf die schlechter werdenden Verhältnisse bei durchaus scharfsinniger Analyse. Nur selten gelingt Markaris so ein prächtiges Bonmot, wie das über die Qualität der Rating-Agenturen: „Ihre Scheinobjektivität dient dem Scheinkapital.“ Der Zorn, der in einigen seiner anderen Romane Handlung und Polemik vorantrieb, scheint erschöpfter Überforderung durch eine rasend gewordene Realität gewichen. Schließlich ist es ein Unterschied, ob der Brechtkenner die Dreigroschenoper zitiert („Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“) oder ob er, dem Verlauf der Krise folgend, selbst eine schreiben muss. Die Herausforderung ist enorm.

Blickt da einer noch durch?
Der in den anderen Krimis als kritische Soziallupe funktionierende Erpressungs-Plot bringt in Faule Kredite eher flaue Einsichten zu Tage. Auch Markaris blickt nicht durch. Wer will es ihm verdenken? Dass die süchtige Anhäufung von virtuellem Kapital mit Doping im Leistungssport vergleichbar ist – ein zentraler Gedanke der Handlung – trägt bei näherer Betrachtung nicht sehr weit. Es herrscht bei aller gewohnter Raffinesse des Zitierens und satirischen Anspielens eine gewisse Ausgelaugtheit in diesem Roman. Bezeichnenderweise hat der sonst so detailversessene Autor glatt vergessen, das ausgelaufene Blut zu erwähnen, das als trüber, stinkender Tümpel die kopflosen Leichen der Banker umgeben müsste. Hoffen wir auf blutigere Zeilen.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung DIE ZEIT Nr. 45 vom 3. November 2011

Siehe auch: Tobias Gohlis über Petros Markaris: Nachtfalter

Siehe auch: Tobias Gohlis über Petros Markaris: Wiederholungstäter