Das Verschwinden der Reiseführer im Content

 

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Polyglott und Marco Polo: Wege ins kommerzielle Internet

Polyglott beliefert Travelchannel

Marco Polo informiert auf eigener Homepage

Zukunftsmusik: der multimediale elektronische Individualstadtführer


 

 

 

 

 

Das Verschwinden im Content II

Vom Bildungsgut zum Tippgeber mit Adressanhang – Versuch über Gegenwart und Zukunft der Reiseführer

Contentisierung...

Polyglott und Marco Polo: Wege ins kommerzielle Internet

Obwohl alles Mediale Content werden kann, sind natürlich vor allem jene Texte und Bilder tatsächlich contentfähig, die möglichst unmittelbar als Kaufanreiz fungieren können. Und das sind nun einmal nach dem bisherigen Verständnis jene Texthäppchen, die speziell das Taschenformat des Reiseführers fordert.
Polyglott und Marco Polo sind verschiedene Wege ins Internet gegangen.

Polyglott beliefert Travelchannel
Polyglott hat 1999 auf eine umfangreiche Präsentation seiner Texte und Inhalte in einem eigenen Webauftritt verzichtet und ist stattdessen eine Kooperation mit dem Gruner-&Jahr-Portal Travelchannel eingegangen. Auf der Reiseliteraturtagung vor vier Jahren in Weimar präsentierte Hubert Haarmann von Langenscheidt einen Vorläufer aus der vorausgegangenen Kooperation mit AOL. Wir amüsierten uns damals fast alle über die schlichten Texte zu Hawaii, nun: wenn man sich den aktuellen Appetizer zur Dominikanischen Republik anschaut, ist es nicht besser. Ich möchte Ihnen diesen Appetizer nicht vorenthalten:

"Dominikanische Republik - Inbegriff karibischer Lebensart

Heiße Rhythmen und unberührte, von Palmen gesäumte weiße Sandstrände - wohl keine andere Insel der Karibik weckt die Sehnsüchte stärker als die Dominikanische Republik. Die Heimat des Merengue bietet Individual- wie Pauschaltouristen auf kleinstem Raum ein breites Spektrum an Naturschönheiten, kulturellen Denkmälern, Sportmöglichkeiten sowie attraktivem Nightlife.
Weit verzweigte Höhlensysteme, dichte Mangrovengürtel, romantische Wasserfälle, tief in Bodensenken liegende Salzseen und bunte Korallenbänke sind nur einige der vielfältigen Landschaftsformen. Aktivurlauber kommen auf der ehemals Hispaniola genannten Insel voll auf ihre Kosten: Surfen, Tauchen, Segeln, Wandern, Rafting, Paragliding, Golfen, Biking und Reiten lassen die schönste Zeit des Jahres viel zu kurz erscheinen.
Absolutes Highlight für Kulturinteressierte sind die ehrwürdigen Kirchen und stolzen Paläste in der Altstadt Santo Domingos, der ältesten spanischen Metropole in der Neuen Welt. Für seine Zigarren- und Rumproduktion ist der Karibikstaat berühmt - da fällt die Auswahl von Mitbringseln nicht schwer." (Polyglott-Text für Travelchannel, Februar 2002)


Ist Ihnen aufgefallen, welchen Stellenwert der (immer meist teuer reisende) Kulturreisende zwischen all den Eventshops und Souvenirhöhlen einnimmt?

Die eigentliche Nutzanwendung ergibt sich aus dem kleinen Lastminute-Button neben dem schönen Werbetextchen: Man soll auf INFORMIEREN UND BUCHEN klicken. Es wird kaum jemanden verwundern, dass der Klick auf Informieren eine Liste mit Pauschalreiseangeboten offeriert. Das ist die Realität des web-contentisierten Informationsbegriffs.
Übrigens stammt der zitierte Internettext nicht aus dem Polyglott on Tour Dominikanische Republik. Dort beginnt der entsprechende Einführungstext unter der Überschrift: „Das Paradies ist relativ“ so:
„Tendenz steigend. Inzwischen zieht es jährlich mehr als 2,5 Mio. Touristen, darunter fast 500 000 deutschsprachige, in das Land, das die Taino-Indianer Aíti (bergiges Land) nannten...“
Auch die anderen Polyglott-Texte, die ich auf den Seiten von Travelchannel fand, stammten nicht aus dem Pocketführer, sondern waren von einer eigenen Redaktion noch weiter kondensiert.

Marco Polo informiert auf eigener Homepage
Marco Polo unterhält hingegen seit Jahren einen eigenen, sehr aufwendigen Webauftritt, der immerhin 80 der 250 Titel der Reihe komplett und kostenlos im Netz präsentiert. Neben der sehr achtbaren Internetinformation für Reisende - Werbe- und Kundenbindungsinstrument in Einem - dient die Website Marco Polo als Präsentationsbeispiel. Der Verlag dient sich anderen Reiseportalen, Veranstaltern etc. als Content-Provider, zu Deutsch: InhalteLieferer an.
Darüber hinaus erprobt Marco Polo seit Dezember 2001 den Schritt in die kostenpflichtige Direktinformation per Internet. Wer will, kann sich Marco-Polo-Informationen online zu seinem persönlichen Compactguide zusammenstellen. Man wählt zu bestimmten Metropolen beispielsweise die Rubriken Shopping, Besichtigungen, Museen und Am Abend aus, zahlt 25 Cent per Micropayment und bekommt etwa 8 bis10 Empfehlungsseiten zur gewünschten Stadt Berlin.

Zukunftsmusik: der multimediale elektronische Individualstadtführer
Polyglott und Marco Polo sind die bisher am weitesten in der kommerziellen Internetvermarktung ihrer Inhalte vorangeschrittenen Verlage. Diese beiden Beispiele sind nur einige Töne einer Zukunftsmusik, an der noch ganz verschiedene Bastler komponieren.

So arbeiten in Heidelberg seit Jahren Geographen, Programmierer und Informationsingenieure an einem Projekt, dessen Ziel es ist, die Zusammenwirkung verschiedenster Datenformate in interaktiven Situationen zu erforschen. Als praktisches Beispiel bastelt man an einem Stadtreiseführersystem, das den Reisenden – versorgt mit Headset und transportabler Datenkonsole – nach dessen individuellen Wünschen mit kulturgeschichtlichen Daten und historischen Gebäudeansichten, Shopping-Tipps und Einlagen aus örtlicher Musikproduktion durch ein vorab digital erschlossenes Heidelberg geleitet.

An SMS-Diensten, die dem eiligen Touristen noch die neuesten Events aufspielen und anderen Netzdiensten, die das Handy zum Kohlkopf machen, dem der Esel bis zur Erschöpfung folgt, wird heftig gebastelt.