Tobias Gohlis über Vazquez Montalban



Barcelona ist out

Verschollene - desaparecidos

Wie ein katalanischer Wurstzipfel

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Aus d. Span. v. Therese Moser

 

 

Im Herz der argentinischen Finsternis

Er tötete Kennedy. Dann fand er heraus, wer Fernando Garrido, den Generalsekretär der spanischen Kommunisten, umgebracht hatte. Fast dreißig Jahre ist das her. In den folgenden 20 Jahren verwuchs Pepe Carvalho, der seinen Namen aus Protest gegen alles Spanisch-Nationalistische und alles Katalanisch-Nationalistische portugiesisch mit lh schreibt, so sehr mit seiner Heimatstadt Barcelona, dass sich Journalisten aus aller Welt aufmachten, um auf den Spuren des versnobtesten Privatdetektivs aller Zeiten zu wandeln, auch aus Hamburg.

Carvalho ist Snob über die Maßen: jeder feinen Gesellschaft zieht er die Wohngemeinschaft mit der Ex-Nutte Charo und dem Kleinkriminellen Biscuter vor, den er als Vorkoster, Koch und Majordomo beschäftigt. Seinem Snobismus setzt er die Krone auf mit der systematischen und leidenschaftlichen Verbrennung von Büchern. Wer alle 21 Carvalho-Titel gelesen hat, könnte mit der Liste der Werke, die der schnauzbärtige Privatdetektiv in seinen Kamin gestopft hat, jeden gut sortierten Bildungsbürger entsetzen: Gadamer und Adorno, Sartre und Habermas wurden Asche. Nur ein Gedichtband ist verschont geblieben, García Lorcas Dichter in New York (nebenbei: sträflich unbeachtet von der Literaturkritik veröffentlichte Martin von Koppenfels 2000 bei Suhrkamp eine wirklich coole Übersetzung ins Deutsche), obwohl Carvalho eigentlich „den nationalen und internationalen Garcialorquismus unausstehlich“ findet.

Barcelona ist out
Aber was findet Carvalho nicht unausstehlich? Barcelona jedenfalls, nach der Zerstörung der Altstadt durch die Olympia-Spekulanten nur noch eine „Farce der Modernität“, ist auch nicht mehr seine Stadt, trotz des guten Essens, all der katalanischen Kutteln, Würste und Fische. Und so landet Pepe auf Bitten eines entfernten Onkels in Buenos Aires, um seinen verschwundenen Vetter Raúl Tourón ausfindig zu machen.
Um ehrlich zu sein: Wäre es mir nicht in einer Art somnambuler Trance gelungen, die ersten dreißig Seiten von Manuel Vázquez Montalbáns Quintett in Buenos Aires zu überstehen, diese Kolumne hätte ein anderes Buch zum Gegenstand. Man könnte Theorien über vermurkste erste Kapitel entwickeln, über Lektoren unter Zeitdruck, Übersetzerinnen, die sich noch nicht warmgeschrieben haben und Autoren, die alle Fliegen ihres Manierismus auf der ersten Seite starten. Aus und vorbei.

Verschollene - desaparecidos
„Maradona, Verschwundene, Tango“ – mehr weiß auch Pepe nicht über Argentinien. Doch allzu bald erfährt er mehr, als er wissen wollte und muss wieder Bücher verbrennen. Denn Carvalho beginnt seine Ermittlungen dort, wo in der nichtliterarischen Wirklichkeit der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón 1999 scheiterte. Über Tangosalons, Backstuben und Gourmetvereinigungen dringt Pepe ins Herz der argentinischen Finsternis vor. Vor zwanzig Jahren hatten der verschollene Cousin Raúl, seine Schwägerin Alma und drei weitere Freunde einer Widerstandsgruppe gegen die Militärdiktatur angehört. Als das Quintett verhaftet wurde, verschwand die nur wenige Monate alte Tochter Raúls und seiner Frau, die erschossen wurde. Ihr Vater, nach Jahren in Spanien aus dem Exil zurückgekehrt, vermutet, dass das Kind von einem Militär zwangsadoptiert wurde - wie es etwa 240 anderen kindlichen Opfern der Diktatur tatsächlich widerfuhr.

Wie ein katalanischer Wurstzipfel
Die Suche von Pepe nach Raúl und Raúls Suche nach der verschollenen Tochter wühlen zwangsläufig den Dreck der Vergangenheit auf. Abgebrüht wie ein katalanischer Wurstzipfel marschiert Carvalho durch die Lügen und Selbsttäuschungen einer durch und durch von Schuld infizierten Gesellschaft. Die Revoluzzer sind müde oder an der Regierung, die Folterer leiten neuerdings Fleischfabriken der Marke „Neue Argentinität“. Wahrhaftigkeit gibt es nur in der Verstellung. Der Wirtschaftskapitän ist Transvestit, der Sohn von Borges eine gelungene Fälschung, die Schwester die Mutter – und der Schluss ist kein Ende. Nur einer ist wieder, nach Jahren der Schwäche, voll da: Pepe Carvalho. Ein dickes, groteskes, trauriges Buch - zum Verbrennen.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 31/01