Tobias Gohlis über Liza Cody: Lady Bag

 


Liza Cody: Lady Bag

Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski

 

 

 

Obdach – nicht hilflos

Codys Lady Bag ist eine tolle Nachfolgerin der unsterblichen
Eva Wylie

Das könnte so auch in Hamburg oder München geschehen: Eine Frau im Businesskostüm nähert sich der Obdachlosen und ihrem Hund. Sie gibt der Bettelnden ein Münze, aber nicht ohne Ermahnung: "Das ist für den Hund, nicht für Sie."
Die Szene spielt in London und ist der Einstieg in den Roman Lady Bag, mit dem sich eine der mitreißendsten britischen Krimischriftstellerinnen endlich wieder beim deutschen Publikum zurückmeldet: die wunderbare Liza Cody. Erinnern Sie sich noch an Eva Wylie, die Catcherin, die zwar nur bis 37 zählen konnte, aber eine Faust aus Stahl und ein großes Herz auf dem rechten Fleck besaß, erinnern Sie sich noch an Was sie nicht umbringt oder Eva sieht rot (Zeit Nr. 12, 2001)? Dreizehn Jahre ist es her, dass ich über Eva schrieb: "Ihr Überlebensrezept in den Londoner Slums lautet: Unabhängigkeit und Härte."
Die Lady Bag, die mit ihrer auf Rennplätzen verbrauchten Greyhound-Gefährtin Elektra in den Straßen der reichsten Stadt der Welt unterwegs ist, verfügt nicht über Evas Muskeln und Jugend, aber ihre Haltung ist ähnlich: "Du bist ganz unten angekommen. Es gibt kein weiteres Fallen. Du kannst endlich aufhören, krampfhaft um den Wiedereintritt in die Gesellschaft zu kämpfen, und dich ganz aufs Überleben konzentrieren."
Doch dann, ihr Blick schweift träumerisch über eine Flasche mit algerischem Roten, sieht sie IHN. Sie nennt ihn nur den Teufel. ER war es seinerzeit, der sie dazu überredete, aus Liebe seine Schuld auf sich zu nehmen. Er war es, der aus der wohlsituierten Bankerin mit Eigenheim die vorbestrafte und obdachlose Lady Bag gemacht hat, die niemanden mehr hat als den verkrüppelten Hund mit den bernsteinfarbenen Augen. Und jetzt muss sie mit ansehen, wie er eine andere wohlsituierte Frau in den Fängen hat, und erkennt in deren verliebten Blicken die Bereitschaft wieder, sich für IHN in den Abgrund zu stürzen. Klar, dass Lady Bag das verhindern muss. Sie folgt der betörten törichten Frau. Als sie anderntags durch die offen stehende Tür in ihr Haus eindringt, glitscht sie in einer Blutlache aus. Und wird von der kurz darauf eintreffenden Polizei nicht verhaftet, sondern als entkommenes Opfer eines Mordanschlags beschützt, betreut und behütet. Aber was ist mit Elektra geschehen? Das ist Lady Bags erste Frage, und so schleicht sie so schnell sie mit gebrochenen Rippen und Matschauge kann, aus dem wunderschönen Hospital, Handtasche samt Handy, Identität und Kreditkarte des Opfers unterm Arm.
Nein, das ist überhaupt nicht kitschig, sondern knallhart grotesk aus der nur ein klein wenig zugespitzten Underdog-Perspektive geschrieben, die Liza Cody auch sprachlich beherrscht wie keine zweite. Siebzig ist sie im April geworden, und ist kein bisschen leise. Sie jagt ihre unwiderstehliche Lady Bag durch brennende Häuser, schenkt ihr eine Transe als Beschützer, lässt sie die Kriminellen von der Straße austricksen und den Bullen zeigen, wie man unter Mordverdacht ein verschärftes Verhör ad absurdum führt. Denn sie weiß, "dass man gestört und intelligent sein kann." Dass es kein Happy End gibt, ist stilistisch Sieg auf der ganzen Linie. Der Teufel kommt immer durch, sogar gegen diese Lady Bag. .

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 40 vom 25.9.2014

Siehe auch: Tobias Gohlis über Liza Cody: Was sie nicht umbringt und Eva sieht rot

Siehe auch: Tobias Gohlis über Liza Cody: Gimme more