Tobias Gohlis über Natsuo Kirino: Die Umarmung des Todes

 


Kirino geht es von unten an

Der Gatte als Lunchpaket

Eine Geschäftsidee

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Natsuo Kirino: Die
Umarmung des Todes;
Originalverlag: Kodansha
Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns

 

 

Die scharfen Messer der japanischen Frauen

"Nachdem man Kirino gelesen hat, möchte man glauben, dass der westliche Feminismus nie richtig wütend war." Ja, der Feminismus. Uns Männer reizt er besonders. Ich kann mir die Genugtuung vorstellen, mit der Village Voice -Kolumnist Greg Tate diesen Satz seinen SoHo-Schwestern ins Stammbuch der geschrieben hat. Und der Kitzel ist auch nicht gering, ausgerechnet eine Japanerin zu loben, wenn demnächst in Wiesbaden (am 29.11.) der Deutsche FrauenKrimiPreis verliehen wird.

Leider hat Greg nicht recht. Auch westliche Frauen haben schon jede Menge Wut klasse zu Papier gebracht. Vielleicht nicht gerade die schreibenden Staatsanwältinnen aus Manhattan. Aber solche wie Liza Cody schon. Ihre Catcherin Eva Wylie gibt es den Männern reichlich und den gutmeinenden Vertreterinnen von Frauenanliegen gleich mit. Oder Helen Zahavis Donna. Als Pennerin rangiert sie per Existenz eine Hautpflegeklasse unter dem Niveau feministischer Salons und zielt dorthin, wo es weh tut: zwischen die Ohren.

Kirino geht es von unten an
Mir haben schon immer die Heldinnen besonders gefallen, die als Outcasts, Underdogs und sexuell quer zur Heteronorm Liebende nicht nur Einzelphänomene, sondern den ganzen Schlamassel unserer schönen heilen kapitalistischen Welt aufs Korn nehmen. Praktisch-politisch kann frau sich ja auf den Feminismus beschränken, literarisch sehe ich keinen Grund, nicht aufs Ganze gehen.

Falsche Selbstbeschränkung ist Natsuo Kirino nicht vorzuwerfen. Obwohl durch das Studium auf einer japanischen Elite-Universität eher zur Salon-Feminismus prädestiniert, geht die 1951 geborene Autorin in Die Umarmung de Todes die japanische Frauen- und Gesellschaftsfrage radikal von ganz unten an. Out lautet der Originaltitel ihres in Japan über fünfhunderttausend Mal verkauften Buches. "Gleich ob du verheiratet bist oder Kinder hast, im Grunde bist du allein", resümiert Kirino die Lage. Out und unten durch sind jedenfalls die vier Frauen, deren bizarrer Überlebenskampf in Die Umarmung des Todes geschildert wird.

Der Gatte als Lunchpaket
Masako, Yayoi, Yoshië und Kuniko arbeiten als Teilzeitkräfte in der Nachtschicht einer Lunchpaketfabrik. Im Winter, der Jahreszeit, in der der Roman spielt, erblicken sie kaum Tageslicht. Ihre Arbeitsnacht ist geprägt von demütigenden Schikanen, pingeligen Sauberkeitskontrollen und einem zermürbenden Kampf um die besten Positionen - am Band, in den Pausenräumen, bei den Männern.

Ihre kollegiale Solidarität wird auf die Probe gestellt, als Yayoi im Affekt ihren Ehemann erdrosselt. In einer Sexbar hat er im Suff das Familienvermögen verspielt. Masako wird zur Anführerin. Mit der Leiche tun sie, was ihr Beruf ist. Sie zerstückeln sie und verteilen die in Plastiktüten verpackten Reste auf verschiedene Mülldeponien. Nachdem die Polizei den Barbesitzer festgenommen hat, bei dem der Ehemann Geld und Verstand verspielte, verliert sie das Ermittlungsinteresse. Die vier Frauen sind noch einmal davongekommen. Doch die Lust, mit der Yayoi Rache genommen hat, scheint auf ihre Komplizinnen übergegangen. Mit dem Geld aus der Lebensversicherung beginnen sie, je nach eigener Fasson ein neues Leben zu entwerfen.

Eine Geschäftsidee
Das sich, nicht nur im Fall der konsumsüchtigen Kuniko, als eine üblere Version des alten erweist: Schon bald ist sie so rettungslos verschuldet wie zuvor, ein dickliches, einsames Opfer von Werbung und falschem Glamour. Nur mit noch mehr Geld scheinen die einmal geweckten Befreiungslüste befriedigt werden zu können. Und so dauert es nicht lange, bis das ungleiche Quartett erneut in Masakos Duschbad bis zum Hals mit Blut besudelt Körper zerstückelt - als Leichenentsorgungstrupp für diverse Yakuzabanden.

Alles wäre paletti, trüge sich der wieder freigelassene Barbesitzer nicht mit Rachegedanken. Er kreist die Fleischzerstücklerinnen ein. Es kommt zum Showdown mit Masako, der Stärksten. Es geht ihr wie Yayoi: "Sie wunderte sich maßlos, woher sie die tobende Raserei, die brutale Grausamkeit nahm, die irgendwo in ihr geschlummert haben musste, aber eines stand fest: Sie auszukosten war ein unendlich erfrischendes, befreiendes Gefühl." Kirinos Basiliskenblick auf die globalisierungszerfressene japanische Gesellschaft lässt uns ahnen, woher diese Raserei kommt: aus Kälte, Einsamkeit und Wahnsinn. Es ist nur die Umarmung des Todes, die frei macht.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 48/ 2003 vom 20.11.2003