Tobias Gohlis über Olen Steinhauer: Last Exit




Olen Steinhauer:
Last Exit

Aus dem Englischen
von Friedrich Mader



Olen Steinhauer:
Der Tourist

Aus dem Englischen
von Friedrich Mader

 

 

Spion neuen Typs

Olen Steinhauer hat den "Touristen" erfunden

James Joyce beim Geheimdienst. "Stattlich und feist …" intoniert der Schreibtischmann irgendwo in einem Büroturm in Manhattan. "… erschien Buck Mulligan …" respondiert der Tourist aus der Telefonzelle irgendwo draußen.
Agenten, die unter Decknamen operieren, die nicht offenbar werden dürfen, und deren Operationsziele über den ganzen Globus verstreut sind, brauchen einen verlässlichen Code, an dem sie sich erkennen. Sie benutzen dazu den ersten Satz des Romans, der die Irrfahrten eines modernen Durchschnitts-Odysseus in einem Tag in Dublin komprimiert. In bisher zwei Romanen mit dem Geheimagenten Milo Weaver hat Olen Steinhauer Joyces Kompression auf einen Tag und Ort erneut umgedreht: Odysseus ist überall.
Es ist Jahr Null nach 9/11, als Milo Weaver in Der Tourist antritt. Mit den Anschlägen auf die Twin Towers sind die Konzepte von Freund und Feind, innen und außen, Barbarei und Zivilisation zusammengekracht. Der Feind muss er überall bekämpft werden, von einer kleinen Zahl von Kriegern, die so anonym und angepasst sind, dass sie nirgendwo auffallen, organisiert in einem Netzwerk, das aufrechterhalten wird durch Kreditkarten, Wegwerfhandies und einen Satz von James Joyce. Diese geheime, ständig bedrohte Abteilung innerhalb der CIA, der Milo Weaver angehört, ist der "Tourismus". Er selbst ist "Tourist", im Backoffice machen "Reiseberater" die Pläne.
Olen Steinhauer, amerikanischer Journalist und Autor, ist wie seine großen Kollegen John le Carré, Robert Littell, Jenny Siler oder Eric Ambler affiziert vom alten Europa. Er hat eine noch unübersetzte Reihe von fünf Romanen über ein fiktives, dem realen Rumänien ähnliches Land geschrieben, jeder Band behandelt ein Jahrzehnt. Aus diesem opaken Europa stammt auch Milo Weaver. Seine Mutter war Mitglied der RAF, sein Vater war früher KGB-Agent. Aus Moldawien, einer der verlorensten Ecken Europas, ist auch Adriana Stanescu, eine fünfzehnjährige Schülerin, nach Berlin gekommen. Weaver soll sie liquidieren. Nach einer Zeit im Knast und als Bürohengst ist er in den Außendienst als Tourist zurückgekehrt. Ein letzter Test seiner bedingungslosen Zuverlässigkeit, denkt er: Überwindet der Ehemann und Vater die Skrupel, ein Kind zu töten? Weaver unterläuft den Befehl. Damit durchkreuzt er unbekannte, "übergeordnete" Pläne.
Noch raffinierter, noch konsequenter als in dem fulminanten Roman Der Tourist dehnt Steinhauer in Last Exit die Spannung zwischen dem zweifelnden, isolierten Individuum Milo und den täuschungs- und Mordaktionen, zu denen ihn Job, Selbsterhaltungstrieb und Befehle um den Globus hetzen. 2008 erklärt der Kosovo seine Unabhängigkeit. Weaver bedrängen andere Wirklichkeiten: der chinesische Gegenspieler, der deutsche pädophile Geheimdienstchef, der Senator, der die Abteilung Tourismus kontrolliert. Und seine Familie: Dort will er hin, raus aus dem Wahnsystem. Steinhauer verlässt nicht einen Millimeter sein faktengenau recherchiertes Weltspinnennetz aus Täuschung und Gegentäuschung – und doch schleicht sich die Ahnung ein, der "Tourist" sei weit mehr als nur ein starker Terminus für den globalisierten Einzelkämpfer und eine brillante Metapher für den Spion von heute.

Siehe auch: Tobias Gohlis über Olen Steinhauer: Die Spinne

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung DIE ZEIT Nr. 28 vom 7.Juli 2011