Tobias Gohlis über Wolf Haas: Brennerova



Wolf Haas:
Brennerova

 

 

Fast schon Nirwana

Wolf Haas' Detektiv Brenner ist leider ein bisserl müde geworden

Es gibt nur zwei Methoden, die gut 180 Jahre alte Figur des Detektivs mit Leben zu erfüllen: die enthusiastische oder die widerwillige. In der enthusiastischen Variante wird der Detektiv mit Größenfantasien überladen und nährt als Alles-Aufdecker von Buch zu Buch die Illusion, der Fall (der die Welt ist) könne gelöst werden. Der Detektiv wider Willen ist so alt wie die Figur selbst, und der widerwilligste ist zweifelsohne Simon Brenner aus Puntigam. 1996 setzte Wolf Haas erstmals den wortfaulen Kerl auf die Spur, heimste einen Haufen Preise ein und wurde (ähnlich wie Thomas Bernhard) mit seiner quasiösterreichischen Kunstsprache zum derart übermächtigen Vorbild, dass bis heute jeder zweite Krimi aus dem süddeutschen Sprachraum schmeckt wie nachgekochter Haas. Der sechste Roman um den Ex-Kriminaler Brenner, Das ewige Leben von 2003, sollte definitiv der letzte sein: Der ebenso anonyme wie allwissende Erzähler, dessen Idiom Haas einen Sitz im Pantheon der Kriminalliteratur sichert, outete sich darin und warf sich als guter Hausgeist in die Kugel, die seinem Helden Brenner das Lebenslicht ausblasen sollte. Sechs Jahre später, in Brenner und der liebe Gott, war er putzmunter wiederauferstanden. Und jetzt meldet er sich in Brennerova zurück.
Und zwar widerwilliger denn je. In seinen früheren Fällen stieß er zuverlässig an den Punkt, an dem seine Lethargie umschlug in die simple Notwendigkeit, seine Haut zu retten. Im aktuellen Fall gäbe es dafür Anlässe genug: Er könnte eine junge Russin aus den Fängen von Mädchenhändlern befreien, in die sie vermutlich geraten ist. Er könnte die Zuhälterbande suchen, die gleich zwei Männern die Hände abgehackt hat. Oder er könnte seiner Geliebten Herta, einer ehemaligen Lateinlehrerin mit Neigung zum Moralkeulenschwingen, Paroli bieten. Doch selbst einer solchen Alltagsherausforderung weicht Brenner aus und denkt nur für sich, was ein konfliktfähiger Kerl aussprechen müsste, dass sie nämlich über ihn verfügt, "als wäre sie seine Zuhälterin". Brenner wird geschubst und gestoßen. Herta verlangt von ihm, die Russin Nadeshda zu heiraten, damit sie unter dem Schutz des österreichischen Passes mit ihm nach der verschollenen Schwester Serafima suchen kann. Währenddessen wird Herta, die ein Faible fürs Weitwandern hat, in der Mongolei von einer schamanistischen Freiheitsbewegung entführt und fällt dem Anführer der Geiselnehmer nicht unwillig in die Arme.
Brenner ist ein "Frauentränenumfaller", er schmilzt, wenn Frauen weinen. In dieser gestelzten Wortschöpfung wird Haas' Dilemma deutlich: Diesem Brechstangenwort wie dem ganzen Roman mangelt es an der von Haas gewohnten Leichtigkeit und Schärfe. Zwar setzt es Seitenhiebe auf den Zeitgeist. Auch gibt es fein bösartig gezeichnete Karrieren wie die des Ex-Jesuiten, der es zum Bordellkönig von Wien bringt. Aber schlussendlich ist ein Detektiv, der tatsächlich nichts mehr will als seine Ruh' und sich zufrieden gibt mit dem Geruch der Frau, die er nicht bekommt ("Nirwana nichts dagegen"), nur ein müder alter Mann.


Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 37/2014

Siehe auch: Tobias Gohlis über Wolf Haas: Brenner und der liebe Gott

Siehe auch: Tobias Gohlis über Wolf Haas: Das ewige Leben

Siehe auch: Tobias Gohlis über Wolf Haas: Wie die Tiere