Tobias Gohlis Wolf Haas: Brenner und der liebe Gott




Kein ewiges Leben

Das Plappermaul bleibt übrig

… und Gott

Organisierte Klischeeflucht

____

Wolf Haas:
Brenner und der liebe Gott

 

 

Totgeglaubte leben länger

In Wolf Haas' siebtem Krimi trifft Simon Brenner den lieben Gott

Es ist schon lange her, so an die sechs Jahre. Da ging es „ding ding ding ding ding“ beinahe eine Seite lang. Bis alles nur noch ding. Wie ein ewiges Totenglöckchen. Und dann aus. Erzähler futsch, Simon Brenner futsch. Und jetzt, sechs Jahre später, als wär nichts gewesen. Alles vergessen: die Schießerei, das Totenglöckchen, die tödlich-selbstmörderische Einmischung des Erzähler-Ichs in den Schusswechsel. Er ist schlicht wieder da, der Erzähler aus dem Hintergrund, Brenners „Hausgeist“. Pass auf, würde der jetzt sagen, und das ist es, was einen mit der Gewalt einer Lustkrätze befällt, wenn man dieser Bauchredner-Ich-Stimme ein paar Seiten auf den Leim gegangen ist, dieses Nachahmenwollen der Haas-Rhetorik: „Pass auf.“ „Quasi ding.“ „Seelenverwandtschaft Hilfsausdruck.“

Kein ewiges Leben
Kenner und Fans, und das sind in diesem Fall beinahe Mengen, wissen, was los ist. Dieser Ton ist die Musik, also seine Musik, also Jimi Hendrix. Wider alles Erwarten und alle Logik: Der Erzähler ist wieder da, der Brenner ist wieder da. Simon Brenner, 25 Jahre Polizei und Detektivdienst, jetzt…also nicht vorgreifen. Das tut schon der Autor ständig, wie schlechter Krimi. Im Grunde hätte Wolf Haas, wie jeder anständige Krimiautor seit Conan Doyle zunehmend scharf darauf, seinen Detektiv umzubringen, mit dem fünften Brennerroman aufhören können. Dann erteilte Graz, europäische Kulturhauptstadt, zur Anheizung der längst über die Steiermark hinaus zum globalen Phänomen gewordenen Brennermania Wolf Haas den Auftrag für einen letzten Brenner: Das ewige Leben (2003). Darin geschah so Ungeheuerliches, dass manchem Kritiker beinahe der Stift aus der Hand fiel. Unterm monotonen „ding ding ding“ der Einschüsse kam der Erzähler um und rettete der Figur das Leben. Doch lag Wolf Haas, geboren 1960, seit seiner Dissertation über die sprachtheoretischen Grundlagen der Konkreten Poesie ein Mann des Experiments, sein unverwüstliches know it all blabbermouth, wie er es seinen Spezln vom Austrian Cultural Forum New York gestanden hat, so am Herzen, dass er weitermachen musste. Nach dem Nicht-Krimi Das Wetter vor 15 Jahren ist jetzt das allwissende Plappermaul wieder auferstanden, als wäre nichts geschehen.

Das Plappermaul bleibt übrig
Nur eine winzige Temperamentsverschiebung hat stattgefunden. Man sieht es an den ersten Sätzen. Beinahe aktionistisch begann das Ewige Leben: „Jetzt ist schon wieder was passiert“. Sechs Jahre abgeklärter heißt es: „Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.“ Das ist Haas, wie er leibt und lebt: traditional (Großmutter) und postmodern (Sprichwortzitat). Um keine Ausrede verlegen. Erst tot, dann war doch noch das Maul übrig. Aber was kann denn überbietungstechnisch (das ist eine der österreichischen Sprachkunsttechniken, die andere ist die Unterbietung) noch kommen nach einem ewigen Leben? Richtig: Brenner und der liebe Gott. Man glaubt es nicht.

… und Gott
Aber man muss. Jedenfalls ein paar Seiten lang. Denn der Simon Brenner, Fachmann für Purgatorien (Krankenhäuser, Irrenanstalten, Internate, Skizirkus) trifft IHN. Ganz persönlich. Und ER ist genau so, wie man ihn sich vorstellt. „Schon allein, wie der geleuchtet hat. Überirdisch Hilfsausdruck! (…) Das hört man ja immer wieder, die richtigen Berühmtheiten sind unkompliziert. Bestes Beispiel jetzt der liebe Gott. Der hat nur gelächelt, wie der Brenner gesagt hat: »Gibt es dich also doch!«“. Na bitte. Nur, dass die Begegnung des Brenner mit dem lieben Gott natürlich nicht im Himmel stattfindet - wir haben 2010 und schon den Surrealismus hinter uns – sondern in einer Senkgrube. Und weder der Brenner noch der Leser oder das Plappermaul wissen genau, ist der Brenner jetzt schon ganz in der Scheiße, oder guckt ein Rest noch heraus?

Organisierte Klischeeflucht
Nun ist Wolf Haas nicht nur ein großer Erzähler, Satiriker und Sprachkünstler – die Passage vom Brenner in der Senkgrube macht ihm so schnell keiner nach – sondern auch ein genauer Plot-Bastler und liefert uns so eine ganz realistische Erklärung für die seltene Begegnung (Der Rezensent: Nahtoderfahrung Hilfsausdruck.) Das Mitreißende beim Haas-Lesen ist, dass man erst dann, wenn man so ein Senkgrubenwunder auf die triviale Formel „Nahtoderfahrung“ gebracht hat, begreift, was geschehen ist. Der Haas zaubert uns glatt weg aus einer Realität der Plattitüden. Aber wie! Organisierte Klischeeflucht. Literarische Klischees sind sprachlich erstarrte stereotypisierte Erfahrungen. Der schlechte Autor, und im Krimi - gibt es genauso viele wie im Romanbetrieb – verlässt sich darauf: Irgendwie weiß ja eh jeder, was gemeint ist. Wolf Haas nun gibt dem halbtoten Klischee seine literarische Alltagstauglichkeit sprich Lebenskraft zurück. Sein Plappermaul-Ich-Erzähler ist ein begnadeter Sprücheklopfer. Von Wittgenstein über Mauthner und Großmutterweisheit bis Werbespruch hat er alles drauf und verteilt es wie der liebe Gott die Menschen auf dem Globus verteilt hat: Sie krabbeln herum, und er amüsiert sich. Dass das nicht immer ein Spaß ist, versteht sich von selbst. Und deshalb kann der Haas ja auch vom Krimi nicht lassen, weil nur dort der Brenner und der liebe Gott in der Scheiße zusammenkommen können. Und nur dort wird eine Helena entführt, weil ihr Chauffeur sich nicht für die richtige Schokolade entscheiden kann. Und ein Baulöwe wird liebender Vater. Und sieben Leute gehen drauf. Das gibt's nicht im richtigen Leben. Niemals. Pass auf!


Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 36/2009

Siehe auch: Tobias Gohlis über Wolf Haas: Brennerova

Siehe auch: Tobias Gohlis über Wolf Haas: Das ewige Leben

Siehe auch: Tobias Gohlis über Wolf Haas: Wie die Tiere