Tobias Gohlis über Giancarlo de Cataldo: Schmutzige Hände




Die Erben des Alten

Verhandeln oder Morden?

Mittendrin: Patrizia

Convenienza

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Giancarlo de Cataldo:
Schmutzige Hände

Aus dem Italienischen
von Karin Fleischanderl

 

 

Die wahre Macht

In seinem zweiten Roman viviseziert Giancarlo de Cataldo Italiens Krise vor dem Auftauchen Berlusconis

Die Politthriller dieses Giancarlo de Cataldo, Richter am Appellationsgericht in Rom, Kenner von Staat und Verbrechen, sollte man gelesen haben, wenn man verstehen will, was in Italien, dem nächsten Abwertungsziel der Rating-Agenturen los ist. Man kann sie aber auch ohne dieses verschärfte Schlüssel-Interesse als exzellente Kriminalromane wahrnehmen.

Die Erben des Alten
In Romanzo Criminale entfaltete er ein Unterwelt-Panorama der Heiligen Stadt Rom, in dem der Papst und alle seine Heiligen nicht einmal auf 600 Seiten erwähnt werden, wohl aber Nutten, Waffen, Drogen, Gangster. Dazwischen, ohne ausreichenden Schutzanzug, der possierlich ehrliche, verliebte Polizist Nicola Scialoja, der von der Edelnutte Patrizia nicht loskommt. In "Schmutzige Hände" ist Scialoja immer noch hinter Patrizia her, diese Frau ist sein Schicksal. Scialoja ist inzwischen, wir sind in den Jahren 1992 folgende, ein mächtiges Tier im Staatsapparat geworden. Er hat vom Geheimdienstmann Vecchio, der die Geschicke des italienischen Staates seit jeher, mindestens aber seit 1946 beeinflusste, den Kernbestand jener Personen-Dossiers übernommen, die die Basis seiner Machtausübung waren. Bewahrt werden sie unter mafia-ähnlich unauffälliger Tarnung in zwei abgestellten LKW, bewacht von einem alten Verbrecher mit Flinte, der immer dem jeweiligen Erben der Dossiers in persönlicher Treue verbunden ist. Alle Welt ist hinter diesen Dossiers her, deren Grundbestände noch von Mussolinis Geheimdienst gesammelt wurden. Einer hält sich gar, wie Scialoja, für den wahren Erben des Schatzes. Sein Name ist Stalin Rossetti. Unter Vecchio diente Stalin dem Staat, der Macht und dem Antikommunismus. Er blickt auf eine Karriere zurück, die ihn von der NATO-Geheimarmee Gladio schließlich an die operative Spitze der "Catena" genannten noch geheimeren Organisation geführt hat – und an die Seite Patrizias.

Verhandeln oder Morden?
Der vorausgegangene Roman Romanzo Criminale ist sehr komplex aufgebaut und verlangt vor allem dem deutschen, mit den italienischen Verhältnissen nicht vertrauten Leser eine Menge ab, weil er einen längeren historischen Zeitraum hauptsächlich aus der personalen Perspektive einer Vielzahl einzelner Protagonisten behandelt. Diese personale Perspektive hat de Cataldo in Schmutzige Hände übernommen, aber die Zahl der Hauptbeteiligten und Handlungsstränge reduziert. Im Zentrum steht der Konflikt zwischen dem am Rande der Legalität operierenden Polizisten Scialoja und dem vollständig clandestin vorgehenden Stalin Rossetti. Scialoja will durch Verhandlungen mit einer moderneren Fraktion der Mafia eine der vielen Bedrohungen des Anfang der neunziger Jahre völlig zerrütteten Staates eindämmen. Rossetti hingegen setzt auf die von Gladio und der Loge P2 althergebrachte rechtsradikale Strategie von Bombenanschlägen, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert und der Staat zu drakonischen Verfolgungsmaßnahmen gegen die Linke provoziert werden sollen. Seine Verbündeten sind die traditionell orientierten Mafiabosse. Sie erhoffen sich von Massakern die Einschüchterung eines Staates, der ihnen nach den spektakulären Morden an den Ermittlungsrichtern Borsellino und Falcone 1992 den Bewegungsspielraum ernsthaft beschränkt.

Mittendrin: Patrizia?
Zugespitzt wird der Konflikt zwischen den beiden ungleichen Erben Vecchios durch ihre Rivalität um die unverändert faszinierende Patrizia. Rossetti hat ihren größten Wunsch erfüllt, eine Hochzeit auf den Fidschi-Inseln. Aber er liebt sie nicht. Scialoja liebt sie, aber kann ihr diese Liebe nicht gestehen, bis es zu spät ist. Dies ist nur ein Griff de Cataldos in die Klamottenkiste der Yellow Press. In ähnlichen Liebes- und Auto- und Drogengeschichten seiner Nebenfiguren entwirft de Cataldo ein Sittengemälde der Ära, in der Berlusconi zum reichsten und einflussreichsten Mann Italiens aufstieg, bevor er sich entschloss, Politiker zu werden.

Convenienza
Es ist der Moment, in dem die "Convenienza" neu austariert werden muss. Damit ist zunächst das Geben und Nehmen, die Kosten-Nutzen-Rechnung gemeint, die das Handeln der Mafia mit ihren Opfern und Nutznießern bestimmt. Aber auch die Kräfteverhältnisse innerhalb der Gesellschaft, zwischen Recht, Medien, Staat und Verbrechen sind nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ins Rutschen gekommen. Italien erwacht aus dem Kalten Krieg. Plötzlich werden Bauunternehmer wie der aufstrebende Ilio Donatoni der Korruption angeklagt. (Auf die von Mailand ausgehende Justizoffensive "mani pulite – saubere Hände" spielt der deutsche Romantitel an). Plötzlich funktionieren alte Beziehungen nicht mehr, und ein wendiger Zyniker wie der Journalist Carú weiß, auf welches Pferd er in Zukunft setzen muss. "Berlusconi ist in die Politik gegangen.. Er hat eine Partei aus dem Nichts gestampft. Ein Wunder an Fantasie, Kenntnisreichtum, Erfindungsgabe und … Politik. Sie wird Forza Italia –Associazone per il buon governo heißen."
Doch davor fliegen Fiats in die Luft, Bomben werden entschärft, eine falange armata reklamiert die Urheberschaft. Chaos – von de Cataldo in knappen Sätzen, nüchtern, rekapituliert. Wer genauer liest, wird Querverbindungen, Hinweise auf Personen und Ereignisse entschlüsseln können. Und verliert sie wieder aus den Augen: Es werden keine Aussagen gemacht über diesen und jenen Politiker oder Gangster oder Geheimdienstler. Es ist ein Einblick in die Maschinenräumchen einer Gesellschaft, den de Cataldo gibt. Schauen ohne zu werten, das kann er. Nur hin und wieder gibt es einen kleinen wertenden romanhaften Schlenker, etwa zum Schluss. Da begreift Scialoja, dass er kein würdiger Erbe des alten Vecchio ist. Und schon ist ein Nachfolger zur Stelle, der die Dossiers übernimmt. Der geheime Staat weiß sich immer zu helfen.

Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung als Buchtipp der Woche auf arte.tv



Siehe auch: Tobias Gohlis und Giancarlo de Cataldo: Der König von Rom


Siehe auch: Tobias Gohlis über Giancarlo de Cataldo: Romanzo Criminale

Siehe auch: Portrait Giancarlo de Cataldo: "Wir können den Guten nicht vollständig trauen
"